Nicht eine, sondern viele: Feministische Perspektiven aus unserem CADUS Team

Unser CADUS-Team vereint unterschiedliche feministische Blickwinkel – mal ähnlich, mal kontrovers, aber immer mit dem gemeinsamen Ziel: eine gerechtere und solidarische Welt.

Lysann – CO-Geschäftsführung

FLINTA* sind in Kriegs- und Krisengebieten essenzielle Stützen ihrer Gemeinschaft, indem sie Schutz, Versorgung und Wiederaufbau organisieren. Sie sind unverzichtbar für eine nachhaltige, gerechte und intersektionale humanitäre Hilfe, werden jedoch häufig aus Entscheidungsprozessen ausgeschlossen.

Aus diesem Grund setzt sich CADUS für feministische Ansätze in der humanitären Hilfe ein. Diese sind notwendig, da Krisen bestehende Ungleichheiten verstärken und FLINTA* sowie marginalisierte Gruppen besonders stark betreffen. Humanitäre Hilfe sollte inklusiv und gerecht gestaltet sein, um universelle Ungleichheiten abzubauen, anstatt sie zu reproduzieren. Häufig werden die Perspektiven von FLINTA* ignoriert, und ihre spezifischen Anforderungen bleiben unberücksichtigt. Daher ist es wichtig, dass FLINTA* aktiv an der Gestaltung humanitärer Politik beteiligt werden, basierend auf ihrer Lebenswirklichkeit.

In Konflikten und Notsituationen sind FLINTA* einem erhöhten Risiko von Gewalt, Vertreibung und dem Entzug grundlegender Versorgungsleistungen ausgesetzt. Humanitäre Hilfe muss so gestaltet sein, dass sie diese Risiken erkennt und Schutzmechanismen implementiert. Zudem gibt es oft kulturelle und strukturelle Barrieren, die den Zugang zu medizinischer Versorgung, Nahrung, Bildung und Hygiene erschweren. Ohne gezielte Programme, die diese Hürden abbauen, bleibt die Hilfe unvollständig und ungerecht. Es genügt nicht, nur akute Notlagen zu lindern – es bedarf eines langfristigen Engagements für strukturelle Veränderungen. Humanitäre Hilfe sollte keine kurzfristige Intervention sein, sondern tief verwurzelte Ungleichheiten hinterfragen und die Selbstbestimmung der Betroffenen fördern. Nur so können Würde, Sicherheit und Autonomie nach einer Katastrophe wirklich wiederhergestellt werden.

CADUS legt deswegen großen Wert auf die Zusammenarbeit mit lokalen Strukturen, insbesondere mit FLINTA*, die häufig zu den am stärksten von Krisen Betroffenen gehören und eine entscheidende Rolle bei der Reaktion und dem Wiederaufbau spielen. Um sicherzustellen, dass humanitäre Hilfe wirksam und gerecht ist, müssen ihre Perspektiven und Bedürfnisse im Zentrum der Bemühungen stehen.

Anna-Lea – Head of Training & Education,
Community Management

Humanitäre Hilfe sollte Leben retten, nicht Machtstrukturen zementieren. Klingt logisch, oder? Ist aber leider oft nicht die Realität. Stattdessen werden alte, koloniale Muster fröhlich weitergeführt, FLINTA* systematisch übergangen und die fettesten Gelder fließen an große Organisationen aus dem Globalen Norden – die dann wiederum entscheiden, was „die Menschen” in Krieg und Krisen brauchen.

Das Problem: Die Macht liegt bei den großen internationalen Playern. Die, die das Geld haben, sitzen am längeren Hebel und diktieren, was, wie und wo passiert. Dabei sitzen diese Entscheidungsträger meistens in den Ländern, die zumindest eine Mitschuld an dem Elend, Krieg und Krisen der betroffenen Gebiete tragen. Lokale Organisationen, vor allem FLINTA*-geführte Strukturen, bleiben dabei oft außen vor. Dabei sind sie es, die die Bedürfnisse ihrer Communities am besten kennen. Wir müssen dringend damit aufhören von „lokaler Partizipation“ zu schwafeln, sondern echte Entscheidungsgewalt in die Hände derer legen, die die Krise ausbaden müssen.

„Ein Konzept für alle!“ DAS hat noch nie funktioniert – schon gar nicht in der humanitären Hilfe. FLINTA*, BIPoC, queere Menschen, Menschen mit Behinderung – sie alle erleben Krisen unterschiedlich, haben unterschiedliche Bedarfe und Hürden. Wer das ignoriert, hilft nicht, sondern sorgt dafür, dass dieselben Menschen immer wieder untergehen. Ein intersektionaler Ansatz bedeutet, diese Perspektiven ernst zu nehmen, marginalisierte Gruppen bewusst einzubeziehen und Strukturen so zu gestalten, dass sie nicht nur für weiße Cis-Männer Mitte 30 passen.

Zudem haben FLINTA* es in der humanitären Hilfe oft doppelt schwer. Ob in internationalen NGOs oder als lokale Helfer*innen: Sie werden übergangen, nicht ernst genommen oder gezielt gegeneinander ausgespielt und rausgeekelt. Gleichzeitig sind sie oft diejenigen, die vor Ort die meiste Arbeit machen, Communitys am Laufen halten und die wirklich wichtigen Netzwerke haben.

Damit will ich sagen: Machtstrukturen müssen hinterfragt, Gelder anders verteilt und feministische Ansätze zur Norm werden – für eine gerechtere intersektionale humanitäre Hilfe!

Cami – Head of HR & Volunteer

Was sind die größten Hürden für FLINTA*, die in der humanitären Hilfe arbeiten?

Ich weiß aus erster Hand, dass es Unterschiede in der Behandlung und Anerkennung von Mediziner*innen gibt – das spiegelt sich in jedem Crewing-Interview wider, das ich führe. Das eigene  Leben zu riskieren, um Menschen in den größten Notsituationen zu helfen, erfordert Mut und Hingabe. Doch sich zusätzlich noch gegen bestehende Geschlechterverhältnisse aufzulehnen und diesen entschlossen und selbstbestimmt entgegenzutreten, ist beispiellos und verdient den größten Respekt.

Ich wünsche mir, dass sich mehr FLINTA*s trauen, weil ich weiß, dass ihr das könnt.

Warum ist ein feministischer Ansatz in der humanitären Hilfe notwendig?

Dass wir uns immer als Erstes selbst reflektieren und an die eigene Nase fassen sollten, steht außer Frage – trotzdem wünsche ich mir mehr FLINTA*-bezogene humanitäre Hilfe, auch in den betroffenen Gebieten. Aufklärung, Verhütung, der Umgang mit (systematischer) sexualisierter Gewalt, Unterdrückung, tabuisierte Sexualität und weibliche Anatomie, Freiheiten und Rechte gehören genauso in den Fokus humanitärer Hilfe wie die körperliche und geistige Unversehrtheit. Was Flinta* und Mädchen in den betroffenen Gebieten ertragen müssen, entzieht sich unserer Vorstellungskraft.

Wir müssen dafür sensibilisieren und mutig genug sein, diese Dinge beim Namen zu nennen und entschlossen dagegen zu arbeiten. Das funktioniert nur, wenn wir Mediziner*innen und specialised care teams entsprechend schulen und gezielt einsetzen.

Welche positiven Beispiele gibt es für feministische Ansätze in der humanitären Hilfe?

Sexismus und Antifeminismus haben viele Gesichter in unserem Alltag – vom Leben der Mediziner*innen über die Arbeit im Backoffice bis hin zum Einsatz in den betroffenen Gebieten. Nur wenn wir unsere Arbeit, Entscheidungen und Einschätzungen permanent selbst reflektieren und mit unseren Werten abgleichen, können wir einen Unterschied machen.

Ich lege großen Wert darauf, dass Ärzt*innen, die ich in unsere Teams aufnehme, sich der feministischen Kämpfe bewusst sind. Außerdem fördere ich gezielt junge, unerfahrene FLINTA*s, die mich in den Interviews überzeugt haben.

Mir wird oft gesagt, dass das unkonventionell ist – aber das haben die Leute vor 100 Jahren auch über Feminismus gesagt.

Lara – Project Assistant Infield Team Ukraine

Krisen und Konflikte treffen Menschen nicht gleichermaßen. Geschlecht, soziale Herkunft, Ethnizität und andere Identitätsmerkmale beeinflussen, wie stark jemand von einer Krise betroffen ist und wie gut der Zugang zu Hilfe gelingt. Genau hier setzt eine feministische humanitäre Hilfe an: Intersektionale Hilfe heißt, die leisen Stimmen lauter zu machen. Sie erkennt diese Ungleichheiten an und versucht aktiv, sie abzubauen.

Es geht darum, nicht nur Hilfe zu leisten, sondern auch kritisch zu hinterfragen: Wer trifft Entscheidungen? Wessen Bedürfnisse werden priorisiert? Wer bleibt ungehört? Genau dort sollte feministische und intersektionale humanitäre Arbeit ansetzen.

Patriarchale Strukturen müssen nicht nur benannt, sondern durchbrochen werden. Dazu braucht es klare Schritte: die aktive Einbeziehung und Mitbestimmung marginalisierter Gruppen, die Stärkung lokaler Akteur*innen und ein Bewusstsein für bestehende Machtverhältnisse – auch in den eigenen Reihen. FLINTA* im humanitären Sektor kämpfen oft nicht nur gegen Krisen, sondern auch gegen Strukturen.

Gerechte humanitäre Hilfe ist nur möglich, wenn wir diese Dynamiken anerkennen und verändern.

Ronja – Projektmanagement

Warum ist ein feministischer Ansatz in der humanitären Hilfe notwendig?

Humanitäre Hilfe muss – wie alles andere auch – feministisch sein, damit FLINTA*-Personen und Menschen, die auf andere Weise systemisch diskriminiert werden, nicht vergessen werden. Ob im Arbeitsalltag im Back Office oder in der Extremsituation in einer Konfliktregion (als humanitäre Helferin oder Betroffene) – überall müssen wir zusätzliche Hürden überwinden, die unseren cis-männlichen Kollegen erspart bleiben. Das kann bedeuten, dass wir uns zusätzlich rechtfertigen müssen, wenn wir unsere Familie zurücklassen, um in einem Kriegsgebiet humanitäre Hilfe zu leisten. Es kann aber auch bedeuten, dass wir nicht bestmöglich medizinisch versorgt werden, weil unsere Symptome von denen abweichen, die im medizinischen Lehrbuch stehen. (Viele FLINTA*-Personen erleben bei einem Herzinfarkt andere Symptome als Männer, weshalb Herzinfarkte bei FLINTA* oft unerkannt bleiben und schneller zum Tod führen.)

Um diese strukturellen Ungerechtigkeiten nicht zu ignorieren und damit unbewusst zu reproduzieren, muss die humanitäre Hilfe einen feministischen Ansatz haben!

Warum ist ein intersektionaler Ansatz in der humanitären Hilfe wichtig, und wie kann er umgesetzt werden?

Wer Feminismus sagt, muss auch Intersektionalität sagen! In Deutschland – sowie in der gesamten westlichen Welt – denken wir beim Thema Feminismus gerne an FLINTA* in Führungspositionen. Das ist aber nur ein winziger Teil dessen, was Feminismus ausmacht. Intersektionalität bedeutet, andere Diskriminierungsformen, unter denen Menschen leiden, mitzudenken. Sie verlangt von uns, Betroffene nicht durch die Brille unseres weißen Feminismus zu bewerten, sondern ihre persönlichen und individuellen Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen und dementsprechend zu handeln.

In einer Behandlungssituation kann das bedeuten, dass wir nicht unserem erlernten Schema F folgen, sondern mit den Betroffenen ins Gespräch gehen und eine Behandlung wählen, die ihren Wünschen und Bedürfnissen entspricht – in bestimmten Fällen kann das auch bedeuten, bewusst auf eine Behandlung zu verzichten.

Welche konkreten Schritte braucht es, um patriarchale Strukturen in der humanitären Hilfe zu durchbrechen?

Eigentlich müsste man meinen, dass humanitäre Hilfe und patriarchale Strukturen sich gegenseitig ausschließen. Schön wäre es! Die humanitäre Hilfe war und ist bis heute sehr weiß und männlich dominiert. Und überall dort, wo weiße Männer das Sagen haben, sind Konkurrenzdenken und Leistungsdruck nicht weit entfernt. So auch in der humanitären Hilfe – sowie im gesamten Non-Profit-Bereich: Menschen arbeiten sich kaputt, gehen regelmäßig über ihre Grenzen und übertrumpfen sich gegenseitig damit, was und wie viel sie nicht alles geleistet haben. Das ist nicht nur patriarchales Mackerverhalten, sondern auch kapitalistisches Leistungsdenken.

In bestimmten Situationen sind klare Hierarchien nötig, um schnelle Entscheidungen zu treffen – diese können im Extremfall über Leben und Tod entscheiden. Trotzdem können wir patriarchale und kapitalistische Strukturen durchbrechen, indem wir einfach mal einen Gang runterschalten und uns daran erinnern, dass wir alle Menschen sind. Auch in Hierarchien können wir uns gegenseitig fragen, wie es uns geht. Lasst uns aufhören, nur an Leistung und Ergebnisse zu denken, und anfangen, humanitär auch zu uns selbst und zueinander zu sein.

(Oder lasst uns einfach nur noch FLINTA*s als Führungskräfte nehmen. Bei einem Training, das ich mit CADUS hatte, haben wir uns am Ende gefragt, warum es die ganze Zeit so harmonisch war und es keine Konflikte gab: Vier Tage lang waren ausschließlich Frauen in leitenden Funktionen eingesetzt – Zusammenhang oder Zufall?)

by CadusPR

Drei Jahre Ukraine-Krieg – drei Jahre Nothilfe

Februar 24th, 2025|

Auf den Tag genau drei Jahre ist es her, dass Russland die Ukraine angegriffen hat. 11 Jahre seit der Besetzung der Krim. Für die Menschen in der Ukraine bedeutet das unter widrigsten Bedingungen ihr Leben gestalten zu müssen, trotz Tot und Zerstörung. Seit drei Jahren unterstützen wir die Menschen in der Ukraine dabei. Ein Beitrag unseres Teams in der Ukraine:

Verhärtete Fronten – CADUS Jahresrückblick 2024

Januar 15th, 2025|

Das Jahr 2024 war für uns gleich in dreifacher Hinsicht besonders: wir feierten unser 10jähriges Jubiläum, starteten in unseren bisher herausforderndsten Einsatz und haben uns nach einigen arbeitsreichen Jahren endlich als Emergency Medical Team klassifiziert. Aber der Reihe nach.

CADUS beim 38c3 – Berichte aus dem Feld und ein ganz besonderes Arbeitsamt

Januar 3rd, 2025|

Zum Abschluss des Jahres 2024 haben wir uns noch einmal richtig ins Zeug gelegt: Auf dem Chaos Communication Congress 38C3 gab es mehrere Vorträge von CADUS und eine recht ungewöhnliche humanitäre Job-Beratung.

Bleibe informiert über unsere Einsätze, Veranstaltungen und Themen aus der Humanitären Nothilfe – mit unserem Newsletter!

Newsletter Anmeldung

Ich stimme der Verarbeitung meiner persönlichen Daten (eMail) zu
Ich stimme dem Empfang des Newsletters zu

Ich möchte mich vom Newsletter abmelden.

Deine Spende macht es möglich, dass wir unsere Ressourcen und Fähigkeiten dort einsetzen, wo sie am dringendsten gebraucht werden.

Nach oben