„Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, was mich erwarten würde.“
Vor gut einem Jahr war Elisa als Ärztin für CADUS im Einsatz in Mossul, Irak. In unserem Traumastabiliserungspunkt kurz hinter der Front haben sie und viele weitere Freiwillige ihr Bestes gegeben um die vielen Verletzten der Kämpfe um die Altstadt zu versorgen. Jetzt, ein Jahr später, wirft Elisa einen Blick zurück auf die Ereignisse und was davon geblieben ist.
Bitte stell dich kurz vor.
Ich bin Elisa, 35 Jahre alt, Ärztin für Innere Medizin und Notfallmedizin im Krankenhaus und in der Notaufnahme, bin kurz vorm Facharzt und lebe und arbeite in Berlin.
Warst du vor Mossul schonmal im Einsatz?
Nicht mit CADUS, aber im Bereich der Flüchtlingshilfe war ich 2016 als Ärztin im griechischen Flüchtlingscamp Idomeni (in gewisser Art und Weise auch ein Krisengebiet), in Athen und in diversen Lagern auf der Balkanroute, 2004 – 2014 mehrfach in Indien, u.a. in Kalkutta mit einer NGO, die dort eine mobile Klinik betreibt, und 2001 als Studentin in der Elfenbeinküste.
Der Einsatz 2017 in Mossul war mein erster Einsatz mit CADUS sowie direkt in einem Kriegsgebiet und das erste Mal arbeiten inmitten von Kampfhandlungen. Und auch das erste Mal Traumaversorgung im großen Stil, mit akuten Schuss-, Spreng- und Explosionsverletzungen. Ich arbeite zwar sonst auch in einer Notaufnahme und im Rettungsdienst, aber eine Brandenburger Notaufnahme und ein Traumastabilisierungspunkt (TSP) an der Kriegsfront in Mossul machen dann doch einen Unterschied.
Wie kamst du darauf, nach Mossul zu gehen? Was waren deine Erwartungen an den Einsatz und die Bedingungen vor Ort?
Ich hatte schon seit mehreren Jahren die Arbeit von CADUS verfolgt, finanziell unterstützt, und über verschiedene Schienen haben sich Kontakte zu den CADUS Mitarbeiter*innen ergeben, sodass ich Lust bekommen habe, selbst mitzumachen. Was ich an CADUS sehr schätze, ist die weitestmögliche Unabhängigkeit, die Organisationsstruktur mit flachen Hierarchien und vielen Möglichkeiten mit zu gestalten und die politische Herangehensweise an das Thema medizinische und humanitäre Hilfe in Krisengebieten. Darüber hinaus finde ich die Idee, als kleine NGO mit mobilen medizinischen Einheiten, flexibel zu sein und schnell reagieren zu können, gerade in Zeiten von sich schnell verändernden politischen Konflikten und Fronten, sehr erfolgsversprechend. Besonders das Projekt Rojava (Anm. Red.: selbstverwaltete, vor allem kurdische, Gebiete Nordsyriens) hat mich sehr interessiert und es war klar, dass ich als Ärztin in den Einsatz gehen will. Als dann doch statt Syrien der Irak das erste Einsatzgebiet wurde und die WHO CADUS aufgrund der desaströsen humanitären Lage in Mossul um Hilfe gebeten hat, war ich dankbar, genau in diesem Moment in den Einsatz gehen und vor Ort tätig werden zu können. Immerhin wurden tausende von Menschen jeden Alters durch den IS, aber auch die Bombardierungen seitens des irakischen Militärs und den Alliierten verletzt und getötet.
Elisa bei der Versorgung einer älteren Frau. Die lange Unterversorgung hatte vor allem Alte und Kinder schwer getroffen. Foto: Kenny Karpov
Erwartungen hatte ich gar zuvor gar keine. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, was mich erwarten würde. Daher hab ich mich auf das Schlimmste vorbereitet: sowohl, was den Einsatz selbst, als auch die Arbeits- und Lebensbedingungen betraf. Diese Strategie ist für mich total gut aufgegangen, da ich so eher positiv überrascht wurde und mich mit mit dem zufrieden geben konnte, was ich vorgefunden habe.
Am schwierigsten war für mich tatsächlich das muslimische Frauenbild und die kulturellen Differenzen im Umgang mit dem Thema Gender und Frauenrechte. Die Tatsache, in einem muslimischen Land als Frau ganz anders wahrgenommen zu werden und die Einschränkungen im arbeiten und leben, haben mich immer wieder frustriert und wütend gemacht haben.
Ich hatte vorher natürlich Angst vor den Bildern, den Toten – vor allem den toten Kindern, der Brutalität des Krieges, der Schwere der Verletzungsmuster und auch davor, dass meine medizinischen Skills nicht ausreichen und ich Menschen nicht helfen kann. Oder sie trotz meiner Hilfe sterben.Das alles ist passiert und es war schrecklich, aber vor Ort hatte ich keine Angst und das Gefühl der Hilflosigkeit hat nicht dominiert. Im Gegenteil, ich habe es während meiner Laufbahn als Ärztin selten erlebt, so vielen Menschen im wahrsten Sinne des Wortes das Leben zu retten, Leiden zu mildern und sinnvolle medizinische Hilfe zu leisten. Das war einzigartig und trotz der schrecklichen Situation sehr befriedigend.
Wie hast du die Situation damals in Mossul erlebt? Wie lief der Einsatz vor Ort ab?
Als ich ankam, hatte gerade die heißeste Phase der Befreiung der Altstadt Mossuls begonnen. Im Straßenkampf wurde eine Gasse nach der nächsten vom IS befreit, dazwischen gab es immer wieder Rückschläge. Und noch mehr Tote und Verletzte. Das war eine ganz andere Kampfstrategie, die viel mehr und schwerer Verletzte hervorbrachte, als noch wenige Wochen zuvor bei der Befreiung des Ostteils der Stadt. Dabei wurden große Gebiete durch gezielte Luftangriffe und Angriffe mit Panzern rückerobert, da die Straßen dort viel breiter und mit schweren Kampffahrzeugen befahrbar waren. Deswegen wurde weniger flächendeckend bombardiert und weniger Menschen mussten sterben.
Uns wurden täglich hunderte Verletzte mit Humvees gebracht, darunter Soldaten, Zivilist*innen, Kinder, alte Menschen. Dazu kamen die ganzen Menschen, die drei Jahre unter der Herrschaft des IS gefangen waren und nun erschöpft, dehydriert und mit alten und frischen Verletzungen aus den befreiten Gassen strömten, um nicht in den letzten Tagen des Befreiungskampfes noch getötet zu werden.
Der TSP, der einige hundert Meter von der Front entfernt in einer ehemaligen Garage eingerichtet wurde, versorgte seit zwei Wochen rund um die Uhr Verletzte und wir waren die Ablösung des ersten Einsatzteams. Es war kaum Zeit für eine Eingewöhnung und Übergabe, sodass wir direkt am ersten Tag mit der Arbeit begannen. Ich hatte ein tolles Team bestehend aus Crew-Mitgliedern von CADUS, einem italienischen Kinderarzt und mehreren internationalen Krankenschwestern, die sich CADUS angeschlossen hatten.
Rund um die Uhr wurden Patient*innen im TSP versorgt. Foto: Kenny Karpov
Auch die Kooperation mit dem irakischen Militär, das die dortige Krankenstation betrieben hatte, aber auch gleichzeitig unsere Sicherheit garantierten, lief unterm Strich sehr gut. Auch wenn sich für uns alle eine so direkte Kooperation mit militärischen Kräften sehr ungewohnt und auch zunächst ungut anfühlte. Aber sie war in diesem Setting zur Umsetzung unseres Konzeptes unumgänglich. Natürlich gab es kulturelle Differenzen, die sich auch in der Arbeit bemerkbar machten, aber insgesamt waren alles so sehr auf das Retten von Leben fokussiert, das alles andere zunächst zweitrangig war. Und es zeigte sich sehr deutlich, dass unsere Arbeit im TSP nur funktionieren konnte, wenn wir zusammen arbeiteten und uns um reibungslose Abläufe bemühten. Häufig war gar keine Zeit mehr, um über den Wahnsinn und den Schrecken des Krieges und der Einzelschicksale nachzudenken.
Es kamen Rund um die Uhr Patienten in den TSP, wir gaben alles, um sie zu stabilisieren und lebend in die umliegenden Krankenhäuser zu transportieren, zwischendrin wurde aufgeräumt, Medikamente nachgefüllt und Primary Health Care (Anm. Red.: grundlegende medizinische Versorgung, ähnlich wie beim Hausarzt) für die Menschen aus der Nachbarschaft betrieben. Die Menschen, denen wir nicht mehr helfen konnten, weil sie entweder schon tot bei uns angekommen oder trotz unserer Bemühungen verstorben sind, wurden in schwarze Säcke verpackt und häufig alleine oder unter dem Klagen und Weinen ihrer Angehörigen und Freunde weggefahren.
Ich habe die meiste Zeit einfach funktioniert und alles gegeben. Obwohl ich eigentlich ein sehr empathischer und emotionaler Mensch bin, konnte ich das. Ich war oft selbst über mich erstaunt. Aber es gab auch Momente, in denen ich realisiert habe, was für ein Wahnsinn so ein Krieg ist und insbesondere dieser; mit welcher Brutalität und Rücksichtslosigkeit Menschen gegen Menschen vorgehen, aufgrund von Religion, Macht, Zugehörigkeiten oder Territorium. Und was die Menschen erleiden, die dort leben und alles verlieren, was je ihr Leben ausgemacht hat: Familie, Freunde, Kinder, Körperteile, Hab und Gut, Lebensraum und manche ihre Würde. Dafür kann man gar keine Worte finden.
Besonders schlimm war für mich immer, die vielen Kinder zu sehen, die so aufwachsen. Viele von ihnen haben große Teile ihrer Familie verloren und als Kleinkind schon mehr schreckliche Bilder gesehen, als ich in meinem ganzen Leben und für den Rest ihres Lebens körperliche und psychische Schäden davontragen. Und doch gab es diese Momente von Dankbarkeit, Neugier, Lachen, vorsichtigen Begegnungen inmitten von Terror und Blut.
Unter einfachsten Bedingungen haben die CADUS-Mitarbeiter*innen im TSP für die Zeit ihres Einsatzes gelebt. Foto: Kenny Karpov
So ging das eigentlich die ganzen 4 Wochen, mal mehr mal weniger intensiv. Ich war froh, das CADUS-Team um mich zu haben, die mich aufgefangen haben, wenn ich abends auf meinem Feldbett die Bilder im Kopf nicht mehr ertragen konnte. Die durch Gespräche, eine Umarmung, einen süssen Kaffee oder ein Essen, das wir gemeinsam in unserem Rückzugsraum gekocht haben, all das leichter und erträglicher gemacht haben. Alleine, ohne das Team, hätte ich das nicht gekonnt.
Wie hat der Irak und die internationale Gemeinschaft auf die humanitäre Notlage reagiert?
Puh. Es gibt bestimmt Expert*innen, die diese Frage viel besser beantworten können und ein viel umfassenderes Hintergrundwissen dazu besitzen als ich. Ich kann nur von meinem Eindruck berichten. Ich hatte das Gefühl, der Irak war voll damit beschäftigt, gegen den IS zu kämpfen und so gut es ging, den eigenen Soldaten das Leben zu retten. Eine medizinische Versorgung, geschweige denn eine Versorgung mit Nahrungsmitteln oder Hilfsgütern für die Menschen in der Altstadt gab es nicht. Mal ganz zu schweigen von den ganzen IDPs (Anm. Red.: Internally Displaced Persons, Binnenflüchtlinge), die in Camps um Mossul herum untergebracht waren und immer noch sind.
Die internationale Gemeinschaft, wenn damit jetzt die WHO, UNHCR gemeint sind, haben im Rahmen ihres doch recht trägen Organisationsapparates mit den üblichen Hilfsleistungen reagiert. Darüber hinaus gab es verschiedene NGOs, die zum Teil mehr, zum Teil weniger effektive Nothilfe an der Front, in den Camps und im Rest des Landes geleistet haben.
Was müsste sich deiner Meinung nach ändern, damit solche humanitären Katastrophen vermieden werden können?
Um solche Katastrophen zu vermeiden, muss meiner Meinung nach in der Bekämpfung der Ursachen von Krieg und Terror angesetzt werden. Das ist sehr komplex und würde jetzt den Rahmen sprengen. Zu diesen Ursachen gehören einerseits Mechanismen, die in der Natur des Menschen liegen, wie Angst und Neid auf der einen Seite und das Streben nach Macht und (vermeintlicher) Sicherheit auf der anderen Seite. Andere Ursachen haben mit Religion und Fanatismus zu tun und dann spielen Themen wie globale (Nord-Süd) Ungerechtigkeit, Kapitalismus etc. eine wichtige Rolle. Es ist sehr schwierig, hier konkrete Verbesserungsvorschläge anzubringen.
Aber wenn es um konkrete Maßnahmen und Änderungen geht, dann bin ich überzeugt, dass der kostenlose (verpflichtende) Zugang zu Bildung (und zwar einer unabhängigen) für alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Volkszugehörigkeit, Religion oder Armut sehr dazu beitragen würde, Krieg und humanitäre Katastrophen zu vermeiden. Außerdem ein öffentliches, kostenloses Gesundheitssystem, Rechte für Kinder und Frauen und faire Löhne.
Würdest du wieder in den Einsatz gehen? Oder in einen ähnlichen?
Ja, sofort.
Hat sich CADUS durch den Einsatz in Mossul (bzw. Irak) verändert? Und wenn ja, wie? Was nimmt CADUS als Erfahrungen für zukünftige Einsätze mit?
Bei CADUS ging es ja ursprünglich nur zum Teil um direkte medizinische Hilfe, sondern viel auch um Ausbildung von Sanitäter*innen, Telemedizin, Umweltfragen etc. Durch den Einsatz in Mossul sind wir quasi unfreiwillig zu Spezialist*innen in Emergency Response Medicine und Trauma Stabilisation geworden, was eigentlich nie unser Ziel war. Das ist einerseits total spannend, weil wir gut darin sind und durch unsere Flexibilität und Bereitschaft, auch unter erschwerten Bedingungen zu arbeiten, ein Alleinstellungsmerkmal besitzen. Besonders interessant für mich ist dabei die Tatsache, dass wir dadurch an Orten sind, an denen sonst keiner arbeiten will und damit Menschen helfen können, die sonst keine Hilfe bekommen würden. Das ist ein Grund für mich, mich weiterhin bei CADUS zu engagieren. Auf der anderen Seite sind durch diese Umorientierung andere Projekte zu kurz gekommen. Ich hoffe sehr, dass wir es schaffen, auch die Projekte im Bereich der Aus-/ Weiterbildung von medizinischem Personal in Krisengebieten, die Telemedizin usw. weiterzuverfolgen.
Damals, kurz nach dem Einsatz in Mossul, hat Elisa ihre Eindrücke schon einmal für uns aufgeschrieben. Hier könnt ihr ihren Beitrag in unserem Blog nachlesen.
Veröffentlicht:
Verfasser*in: von Jonas Grünwald
by CadusPR
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