Alle Jahre wieder – Die Wasserkrise in Nordost-Syrien
Während in den vergangenen Wochen Teile Deutschlands von gewaltigen Regenfluten getroffen wurden und nun vor den Folgen dieser zerstörerischen Kraft stehen, bahnte sich im Nordosten von Syrien in den letzten Monaten eine gegenteilige Katastrophe an – das Wasser ist mehr als knapp und unzählige Menschen wurden von ihrer Strom- und Trinkwasserversorgung abgeschnitten.
Das Problem ist nicht neu: Bereits im November 2019 kam es zu Problemen mit der Wasserpumpstation Alouk, die im Nordosten Syriens rund eine Million Menschen mit Trinkwasser versorgt. Seit einer türkischen Militäroperation liegt Alouk in dem Einflussbereich türkisch kontrollierter Milizen. Während der Kämpfe kam es bereits damals zu Beschädigungen, die einen mehrtägigen Ausfall der Pumpstation zur Folge hatten und eine halbe Million Menschen von ihrer Wasserversorgung abschnitten. Nur durch den verstärkten Einsatz von Wassertankwagen und einer strengen Rationierung der Verbrauchsmenge konnte die Katastrophe im Herbst 2019 verhindert werden.
Nach Monaten der eingeschränkten Funktion kam es vor einigen Wochen zu einer erneuten Störung und Techniker*innen wurde nur begrenzt Zugang zu der Pumpstation gewährt, sodass wichtige Wartungsarbeiten und Reparaturen auf der Strecke blieben. Als dramatische Folge dessen erreichte der Stausee, der durch Alouk versorgt wird, sein „Dead-Level“ – den geringsten Wasserstand, der den weiteren Betrieb unmöglich macht. Ebenso leer und damit funktionsunfähig sind zwei weitere Wasserstationen in der Region.
Der aktuelle Wasserstand am Tishrin Damm. Wie hoch das Wasser normalerweise dort steht, sieht man an den dunklen Linien in der Betonwand. Bild: NES Forum
Dies hat nicht nur großen Einfluss auf die 460.000 Menschen vor Ort, deren wichtigste Trinkwasserquelle Alouk ist – 500.000 weitere Menschen, die mit Wassertransportern aus den Stationen versorgt werden, darunter 6 Lager für Binnenvertriebene, sind abhängig von dem Wasser der Pumpstation.
Zu wenig Wasser als Katalysator für Krankheiten
Es bleibt allerdings nicht nur bei dem Mangel an Trinkwasser – auch diversen Einrichtungen der gesundheitlichen Versorgung fehlt es an sauberem Wasser. Den Gemeinden bleibt in dieser Situation nichts anderes übrig, als privates Wasser zu horrenden Preisen zu kaufen oder auf unsichere Wasserquellen zurückzugreifen. Diese unsicheren Quellen sind aber oft kontaminiert, in Nordostsyrien stiegen die Fälle akuter Durchfallerkrankungen im letzten halben Jahr um 133%. Diese Zahl ist besonders angesichts der mangelnden medizinischen Versorgung in vielen Gegenden besorgniserregend.
Gerade jetzt, wo der Zugang zu sauberem Trinkwasser und adäquaten sanitären Anlagen eine wichtige Hygienemaßnahme zur Eindämmung der weiteren Übertragung von Covid-19 darstellen und aktuell nur begrenzt Impfstoff zur Verfügung steht, ist eine ausreichende Wasserversorgung essentiell.
Die Karte zeigt die beiden teilweise geschlossenen Staudämme vor- und hinter dem Assad-See und die Pumpstation Alouk an der syrisch-türkischen Grenze. Bild: CADUS
Nicht nur Wasser – auch der Strom wird knapp
Aufgrund des niedrigen Wasserstandes im Euphrat, dem größten Fluss und der Lebensader des Landes, kam es im Mai außerdem zur teilweisen Schließung zwei weiterer Staudämme (Tishrin und Tabqa), die zu Stromausfällen im gesamten Nord-Osten von Syrien führte. Die Schließung dieser beiden Dämme hat immense Auswirkungen auf das Leben in der Bevölkerung, denn zu der Trinkwasserknappheit kommt der Verlust der Hauptstromversorgung für 3 Millionen Menschen. Selbst Haushalte, die abhängig von der Stromversorgung sind, können kein Wasser mehr zapfen, da die rund 200 Wasserstationen strombetrieben sind. Die Bauern in Raqqa, Deir-ez-Zor und Teilen von Aleppo verlieren ihr Einkommen und damit ihre Lebensgrundlage. Krankenhäuser müssen sich auf Generatoren verlassen, um die wichtige medizinische Versorgung weiterhin zu gewährleisten.
Dieser Zustand ist für uns schwer vorstellbar. Kaum jemand in Deutschland macht sich Gedanken darüber, woher unser Wasser kommt und wie viel wir davon verbrauchen. Es ist selbstverständlich sich regelmäßig die Hände waschen zu können, jederzeit über Trinkwasser aus der Leitung zu verfügen und im Sommer länger zu duschen – eine Traumvorstellung für die Menschen in Syrien. Sie müssen sich bei brühender Hitze mit knappen Wasserrationen zufrieden geben und damit ebenso kochen und waschen, selbst nachts sinken die Temperaturen selten unter 30 Grad. Es ist nicht möglich sich einfach zu erfrischen und den Wasserhahn länger laufen zu lassen, denn jeder verschwendete Tropfen könnte am Ende des Tages bedeuten, nicht mehr genug Wasser übrig zu haben.
Angesichts der weltweiten Klima-Krise werden sich Situationen wie diese in Zukunft eher häufen und für immer mehr Konfliktpotential im Nahen Osten sorgen. In den umliegenden Ländern wie Irak, Iran und Libanon protestieren Menschen seit Wochen gewaltvoll gegen den Wassermangel und die teilweise ganztägigen Stromausfälle. Es besteht sogar die Gefahr, dass die Versorgung mancherorts komplett zusammenbricht. Solange das Wasser knapper wird, werden die ohnehin schwelenden Konfliktherde weiter Feuer fangen.
Veröffentlicht:
Verfasser*in: Sally Pegesa
by CadusPR
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