COVID, Camp und ein bisschen Chaos: ein Zwischenbericht unseres Einsatzes auf Lesbos.
Wir sind nun zusammen mit dem ASB seit zwei Wochen im Camp Kara Tepe 2 auf Lesbos in Griechenland. Ein erstes Zwischenfazit des Einsatzes lautet: it‘s complicated. Wir wollen nicht, dass Menschen in Lagern leben müssen. Faktisch lässt sich der aktuelle Zustand aber nicht kurzfristig auflösen, solange die EU daran kein Interesse zeigt. Also müssen wir mit dem arbeiten, was wir haben. Hier eine kleine Bestandsaufnahme, was wir auf Lesbos vorgefunden haben.
Das „Reception and Identification Center“ RIC Kara Tepe (das Nachfolgecamp von Moria) bot am Anfang kaum das Minimum an notwendiger Infrastruktur, um die über 7.000 Camp-Bewohner*innen zu versorgen. Mittlerweile kümmern sich viele NGOs und Institutionen darum, verschiedene Bereiche der Versorgung und fehlenden Infrastruktur auszubauen. Das ist vor allem im Hinblick auf den kommenden Winter nötig, aber auch für die Gesamt-Perspektive des Camps wichtig: ursprünglich sollte dieses nur eine temporäre Unterkunft bis zum nächsten Frühjahr sein. Doch der geplante Ersatz lässt auf sich warten, schon allein weil niemand auf Lesbos bereit ist, Land für ein neues Camp zu stellen.
Zusätzlich zu der grundsätzlichen Belastung, die ein Leben in einem unterversorgten Lager mit sich bringt, machen Covid-Maßnahmen den Camp-Bewohner*innen das Leben schwer. So dürfen momentan täglich nur 750 Menschen das Lager verlassen, jeden Tag bildet sich eine lange Schlange am Haupttor, das gleichzeitig Ein- und Ausgang ist. Ein Kommunikationskonzept für die Einführung neuer Verordnungen gibt es nicht. Die Geflüchteten erfahren erst von der Ausgangsbeschränkung, wenn sie vor dem geschlossenen Tor stehen, das ihre Pläne für den Tag durchkreuzt.
Accessibility und das Grundrecht auf medizinische Versorgung
Unsere Tage spielen sich hauptsächlich in der Klinik ab. Diese liegt direkt vor dem Tor des Camps, an einer engen Straße auf deren anderen Seite nur das Meer liegt.
Sämtlicher täglicher Verkehr nach drinnen oder draußen, ob zu Fuß oder per Fahrzeug, muss sich durch dieses Nadelöhr zwängen. Schließt die Polizei temporär das Tor, wie es immer öfter vorkommt, führt das zur Ansammlung einer Menschenmenge direkt vor unserem Eingangsbereich, der Triage. Um das Tor passierbar zu halten, hat sich folgende Routine eingestellt: die Polizei drängt die Menschen zurück in Richtung des Camps, und sperrt den Weg mit einem quergestellten Bus und einer Polizeikette ab. So ist das Tor zwar wieder von der Klinik aus leicht passierbar, doch unsere Patient*innen stecken jenseits der Polizeikette fest und kommen nicht mehr zu uns.
Das Camp Kara Tepe 2, wie es vor ca. einem Monat noch aussah. ©WHO/Hellenic Forces
In der humanitären Arbeit ist es immens wichtig, Erreichbarkeit für deren Adressat*innen sicherzustellen. „Accessibility“ ist hier das Stichwort. Gemeinsam mit vielen anderen Gruppen im Camp weisen wir immer wieder darauf hin, dass die Erreichbarkeit ärztlicher Versorgung sichergestellt werden muss. Diese Notwendigkeit wird zwar von allen Parteien anerkannt, doch bis jetzt gibt es nur eine Notlösung: jenseits der Polizeikette haben wir eine weitere Triage eingerichtet, in der wir die medizinische Dringlichkeit der Fälle einordnen. Dies dient dazu, unseren Patient*innen das Passieren der Blockade zu ermöglichen, damit sie sich in medizinische Behandlung begeben können. Wir überzeugen die Polizei, Menschen mit akuten Beschwerden oder auch Arztterminen außerhalb des Camps passieren zu lassen. Je nachdem, welche Einheit gerade Dienst hat, funktioniert das mal mehr und mal weniger gut. In jedem Fall verlangt diese Position unseren Medics einiges ab, und wir hoffen, dass es bald eine grundsätzliche Lösung für das Problem gibt.
Aushandlungen und Zusammenarbeit
Lösungsvorschläge treffen weitestgehend auf offene Ohren. Doch wie in vielen Bereichen zieht sich auch deren Umsetzung lange hin. Strukturelle Probleme sind nicht nur im Camp vorhanden, Lesbos als Ganzes benötigt eine Stärkung der Infrastruktur, auch im Gesundheitsbereich. Der gute Wille ist genauso vorhanden wie der Druck von allen Seiten, der sich immer wieder in unschönen Szenen entlädt.
Mittendrin in dem Trubel liegt der Klinik-Bereich, den wir uns zusammen mit weiteren medizinischen NGOs, der Gesundheitsbehörde EODY, einem mobilen Labor und den für unsere Arbeit unersetzlichen Übersetzer*innen teilen. Wir selbst zählen als Emergency Medical Team als ein Teil der WHO-Präsenz im Camp. Eine recht wilde Mischung, die aber sowohl auf der medizinischen als auch auf der menschlichen Ebene gegenüber unseren Patient*innen fantastische Arbeit leistet.
Auch wenn der Zwiespalt, in dem wir bereits vor Beginn dieses Einsatzes steckten, sich noch lange nicht aufgelöst hat: das Lob und positive Feedback, das wir bisher von unseren Patient*innen erhalten haben, ermutigt uns zu dem Zwischenfazit: es ist gut, dass wir hier sind.
Veröffentlicht:
Verfasser*in: Corinna Schäfer
by CadusPR
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