„Eine Frau muss immer stark sein, um ihr Leben fortzusetzen.“
„Ich möchte jeder Frau sagen, dass sie so stark wie möglich sein muss. Lasst euch durch nichts mehr zerstören. Keinen Mann, nein, keine Umstände, nichts. Eine Frau muss immer stark sein, um ihr Leben fortzusetzen.“
Dies sind die Worte von Farah, die anlässlich des Frauenkampftages mit uns über ihr Leben, ihre Arbeit als Lehrerin und die Flucht vor dem IS gesprochen hat. Farah arbeitet heute als Übersetzerin für Cadus im Geflüchtetenlager Al-Hol in Nord-Ost-Syrien.
Farah war Anfang 20 als sie ihr friedliches Leben zum ersten Mal aufgeben musste. Ihre Heimatstadt in Nordost-Syrien war einer der erste, in denen 2011 massive Proteste gegen das Assad-Regime stattfanden.
Fragt man sie nach ihrem Leben vor 2011 lächelt sie: „Manchmal, wenn ich meine Augen schließe und mich erinnere, nenne ich es tatsächlich die süße Vergangenheit, die süße Vergangenheit, oh. Es war wirklich wunderbar.“
Doch diese Zeit war nach Beginn des Bürgerkrieges schnell vorbei. In Farahs Stadt kämpften abwechselnd Regime, Rebellen und der IS gegeneinander. Mit Schrecken erinnert sie sich an die Konflikte, an den Verlust des eigenen Zuhauses. Das Vermissen. Die quälende Ungewissheit darüber, wo sich ihre Angehörigen aufhielten – über Tage, Monate hinweg.
Der Verlust des Familienhauses traf Farah besonders schwer. Einige Monate vorher war sie vor den schweren Kämpfen in der Stadt mit ihrer Familie aufs Land geflüchtet. Als sie die Nachricht von der Zerstörung erreichte kam es ihr vor, als wären mit den Mauern des Hauses auch all ihre Träume für die Zukunft zusammengebrochen.
Das Gleiche Schicksal von Farah durchlitten viele Menschen in Syrien. Ein zerstörtes Wohnhaus in Kobane, eine Stadt an der Grenze zur Türkei. Foto: Christoph Löffler
Das Leben unter IS Kontrolle
Inmitten dieser schweren Zeiten übernahm der IS die Kontrolle über Farahs Heimatstadt und führte das Schariah-Gesetz ein. Diese Lebensregeln, die vom IS vorgegeben wurden, beschnitten nahezu jeden Teil des Alltags. Frauen wurden aus dem öffentlichen Leben verbannt, sie mussten den Niqab* tragen und hatten kein Recht dazu, ihren Körper zu zeigen oder Make up aufzutragen.
Trotz aller Einschränkungen versuchte Farah, so unabhängig wie möglich zu sein. Bereits während ihrem Studium der englischen Literatur verdiente sie als Lehrerin ihr eigenes Geld, um selbstständig sein zu können und niemanden nach Geld fragen zu müssen.
Als die Region unter IS-Kontrolle geriet, gab Farah privaten Englischunterricht an Kinder und Erwachsene. Mit der Machtübernahme des islamischen Staates wurde es illegal, die Unterrichtsmaterialien des Regimes zu nutzen. Ein Widersetzen gegen diese Regeln wurde schwer geahndet, gleichzeitig waren die Lehrmaterialien des IS durchsetzt mit Propaganda und für den normalen Unterricht kaum brauchbar.
Farah brachte es nicht übers Herz, mit dem Unterrichten aufzuhören. Sie fand eine geheime Möglichkeit, ihre Schüler:innen weiterhin zu unterrichten.
Das ging eine Weile lang gut, bis einer von Farahs Schülern auf dem Weg zum Unterricht von IS-Autoritäten angehalten und dazu gezwungen wurde, die Schule zu verraten. So wurden Farah und ihre Kolleg:innen von der Hisbah, der islamischen Sittenpolizei, gefunden: Rauchend, ohne Trennung von Frauen und Männern in den Klassen. Alles an dieser Situation war laut den Regeln des IS strikt verboten. Die Polizisten waren außer sich vor Wut und drohten den Lehrenden, sie zur Strafe vor aller Augen zu enthaupten. „Stell dir das vor – sie drohten, unsere Köpfe abzuschneiden, einfach so, hier und jetzt! Ich hatte furchtbare Angst, aber gleichzeitig wusste ich, dass ich nichts falsch gemacht habe. Ich habe nur unterrichtet.“
Farah und ihre Kolleg:innen kamen mit dem Leben davon, allerdings mussten sie an einem Verhaltenskurs in der Moschee teilnehmen und wurden durch Schläge auf den Rücken bestraft. War ein männlicher Verwandter zur Stelle, so musste er anstelle der Lehrerinnen die Strafe auf sich nehmen.
Nach diesem Vorfall beschlossen Farah und ihre Familie, wegzuziehen. Raus aus dem IS-Gebiet in eine Stadt, die unter der jungen kurdischen Selbstverwaltung stand.
Kurz danach schloß sie ihr Studium der Englischen Literatur ab und heiratete ihren Ehemann, den sie während ihres Studiums kennenlernte. Ihr Mann, der als Geflüchteter drei Jahre in Stuttgart lebte, bot Farah mehrfach an, aus Syrien zu emigrieren. Doch sie hielt, trotz aller Schwierigkeiten vor Ort, an ihrer Hoffnung auf eine bessere Zukunft in ihrem Heimatland fest. Auch wenn sie sich manchmal kein Brot leisten kann oder die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen sind, möchte sie, dass ihre Kinder umgeben von der Familie großwerden und nicht als Fremde in einem anderen Land.
Die Arbeit mit Cadus in Al-Hol
Die Jahre im Bürgerkrieg haben ihre Spuren hinterlassen. Laute Geräusche, Sirenen, Frauen in Vollverschleierung: Das alles weckte Farahs Ängste, der Schrecken der vergangenen Zeit wurde ihr wieder deutlich in Erinnerung gerufen.
Das Jobangebot von Cadus kam für sie gelegen. Doch als sie erfuhr, dass sie hauptsächlich im Geflüchtetenlager al-Hol arbeiten müsste, kame ihr Zweifel. In dem Camp sind vor allem Familienmitglieder von IS-Kämpfern untergebracht, einige hängen noch an ihren alten Ideologien fest. Sie entschied sich trotzdem für Cadus zu arbeiten. Ohne die Ermutigungen ihrer Familie hätte sie das Jobangebot wohl abgelehnt, nachdem sie erfuhr, dass sie täglich im Camp arbeiten würde – wie sollte sie diesen Menschen wieder jeden Tag begegnen? Jeden Tag mit ihnen sprechen und ihre Leiden übersetzen?
Der Wartebereich für das Feldkrankenhaus in al-Hol. Alle Bewohnerinnen des Camps tragen Niqab (den Gesichtsschleier) und Abaya (das lose Kleid). Foto: Carolin Lebek
Farah traf an ihrem ersten Tag auf Verena, unsere Projektmanagerin in Nord-Ost-Syrien und erzählte ihr im Vertrauen, wie sehr sie sich vor ihrer neuen Aufgabe fürchtete. Doch mit der Zeit fand sie ihre innere Stärke wieder und eine neue Überzeugung – die ehemaligen IS Anhänger sind ebenso Menschen, denen geholfen werden musste:
„Sie wollten uns töten, aber wir retten sie. Unsere Idee ist genau umgekehrt. Wir helfen ihnen, weil sie vielleicht ihre Methoden ändern, ihre Vorstellungen über die Menschen ändern, dass Menschen, die sich nicht verhüllen, keine guten Menschen sind – nein, wir sind gute Menschen, denn unsere Religion tragen wir im Herzen und nicht als Kleidung auf der Haut.“
Familienleben und care work
Wenn Farah von ihrer Arbeit im Krankenhaus zurückkehrt, warten zwei Söhne, ihr Ehemann und die Hausarbeit auf sie. Obwohl sie sich oftmals wünscht, dass ihr Mann sie dabei unterstützen würde, ist sie sehr glücklich darüber, dass er sich viel um die Kinder kümmert. Ihre Aufgabe ist es dann, für alle zu kochen und zu putzen.
Vor einigen Wochen war Farah in ihrer alten Heimatstadt. Das Familienhaus, oder das was davon übrig ist, hat sie allerdings nicht besucht. Sie weiß, dass es ihr das Herz brechen würde, zu sehen wie all ihre Träume dort in Trümmern liegen: „Wenn du die Ruinen selbst siehst, werden auch all die schönen Zeiten, die du an diesem Ort hattest, für immer zerstört sein. All die Träume und schönen Momente die du dort erlebt hast. Das habe ich oft bei Anderen gesehen, ich möchte es nicht selbst erleben.“
Für die Zukunft hofft Farah darauf, in einer friedlichen, sicheren Stadt leben zu können und eventuell mit ihrem Mann einen eigenen Laden zu eröffnen. Ohne Krieg, ohne Zerstörung. Sie möchte ihre Kinder, wenn sie einmal großgeworden sind, zum Studieren ins Ausland schicken und weiterhin ihrer Leidenschaft nachgehen:
„Wenn du unterrichtest, wirst du viele Menschen treffen. Viele Leute, viele verschiedene Schichten der Gesellschaft, die armen Leute, die reichen Leute. Ja, ich unterrichte gerne, denn wenn ich Menschen unterrichte, habe ich das Gefühl, dass ich wirklich etwas gebe.“
Veröffentlicht:
Verfasser*in: von Cadus PR
by CadusPR
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