„Geh doch zurück nach Syrien“- Warum eine Rückkehr vielfach unmöglich ist
Es ist immer dasselbe: Sobald die Meldung über das vermeintliche Ende von Kriegen und bewaffneten Konflikten die Runde macht, sollen die Geflüchteten aus den betroffenen Regionen bitte schnell wieder nach Hause. Ganz gleich, ob es dieses zu Hause überhaupt noch gibt, die Sicherheit gewährleistet ist oder ein Leben vor Ort überhaupt möglich ist. So war und ist es mit Afghan*innen und genauso werden die Rufe bei Syrer*innen laut. Warum diese Rufe die Realität verkennen erklärt Kristof Kietzmann.
Einhergehend mit dem Sieg der kurdisch geführten Allianzen über den Islamischen Staat (IS) östlich des Euphrats sind in Deutschland vermehrt wieder Stimmen zu hören, die eine Rückkehr der hier lebenden geflüchteten Syrer*innen fordert. Das Land solle wieder aufgebaut werden, die Gefahr sei ja nun fast überall vorbei und überhaupt könne man in Gebieten unter Assads Kontrolle sogar schon wieder Urlaub machen.
Diese Denkweise findet sich zynischerweise sowohl in der Ideologie der Identitären Bewegung, die effektheischend Ad-busting* betreibt, als auch in deutschen Ämtern wieder. Das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) prüft momentan die Lage in Syrien, hielt bis vor drei Wochen aber für Gebiete, die dem syrischen Staat direkt unterstehen, generell subsidären Schutz als nicht gegeben. Subsidären Schutz genießen Personen dann, wenn sie nicht politisch verfolgt werden aber aufgrund von bewaffneten Konflikten ein Aufenthalt im Herkunfstland unzumutbar ist. Im Klartext heißt das, dass sich langsam aber sicher vom Bild Syriens als gefährliches Bürgerkriegsland verabschiedet werden soll, um Abschiebungen in Zukunft möglich zu machen. Passenderweise das, was die AfD und Teile der CDU/CSU auf der politischen Bühne fordern. Allerdings lässt eine solche Einschätzung außen vor, warum so viele Syrer*innen aus dem Land geflohen sind. Bewaffnete Konflike, die in knapp 1/5 des Landes nach wie vor teils brutal geführt werden, sind dabei nur ein Punkt von vielen.
(*dem künstlerischen Umgestalten von Werbeplakaten und -flächen, s. Foto oben)
12 Stunden anstehen für ein paar Liter Kraftstoff
Der humanitären Krise in vielen Regionen Syriens folgt jetzt auch eine wirtschaftliche Krise im Nexus der Macht Assads. Seit Jahren ist sein System auf finanzielle Hilfe durch Russland und auf Rohöl aus Iran angewiesen, um die ihm loyalen Truppenverbände und Milizen immer wieder von einer Front zur anderen verlegen zu können, von den knapp 12 Millionen Menschen ganz zu schweigen. Anders als es Bilder des syrischen Ministeriums für Tourismus implizieren, ist auch in den Kerngebieten der Macht, der Hauptstadt Damaskus und dem überwiegend von Alawiten bewohnten Küstenstreifen des Landes, der Krieg tägliche Realität. Strom nur für wenige Stunden am Tag, in Schlangen warten auf das subventionierte Brot, Familien die in den zahlreichen Parks der Hauptstadt schlafen. All dem zum Trotz hielten weite Teile des politisch-militärischen Zirkels um und hinter Assad diesen durch die acht Jahre Bürgerkrieg die Treue. Weder 2013, als Rebellenverbände den Ring um die Innenstadt Damaskus' so eng schlossen, dass Mörsergranaten auf den zentralen Umayyaden-Platz niedergingen, noch 2015 als nur das Eingreifen der russischen Luftwaffe den Zusammenbruch der syrischen Armee im Landesinneren verhindern konnte, war Kritik an der Führung Assads aus seinem engsten Zirkel heraus zu hören.
Seit Ende März ändert sich dies und das hat handfeste wirtschaftliche Gründe. Der Iran ist aufgrund der gegen ihn verhängten Sanktionen kaum noch in der Lage die Ölterminals an Syriens Küste auffzufüllen. Wichtige Reedereien fürchten in die Sanktionen einbezogen zu werden und die heimische Wirtschaft erlaubt kaum noch weitere Geschenke an den syrischen Staat. Der Geldhahn ist zu, die momentane Eskalationsrhetorik aus Washington und die sich abzeichnende Spannung um den Persischen Golf herum werden dafür sorgen, dass er das auch auf absehbare Zeit bleibt. Auf den Straßen Damaskus, Latakias und Tartous' stehen die Autos in kilometerlangen Schlangen, Taxifahrer stehen teilweise bis zu 12 Stunden um die rationierte Menge Kraftstoff an Tankstellen zu erhalten, mitten im Ramadan stehen wichtige Teile des öffentlichen Lebens still. Lediglich 20 Liter alle fünf Tage werden für den privaten Verbrauch freigegeben. Für die loyalen Milizführer, Offiziere und hochrangigen Angehörigen der Schattenwirtschaft um die Familie Assad herum ist dieser Energieengpass ein ernstes Ärgernis, für die breite Bevölkerung stellt er eine existenzbedrohende Krise dar. Kein Kraftstoff heißt keine Möglichkeit zu heizen, heißt höhere Preise auf alles was transportiert werden muss und heißt für die vielen tausend Menschen im Transportgewerbe, dass es keine Einkünfte gibt. Taxifahrer haben Anrecht auf 40 Liter jeden zweiten Tag, so denn Kraftstoff verfügbar ist.
Ein Dutzend Reiter ist Mitte April auf den Straßen Damaskus' untewegs. Ein stiller Protest gegen die hohen Kraftstoffpreise. ©Privat
Die durch den Verfall der syrischen Währung ohnehin schon enorm gestiegenen Preise für Grundnahrungsmittel werden jetzt nahezu unerschwinglich. Ein Regierungsansgestellter in Damaskus verdient im Monat rund 700.000 Pfund, das sind etwa 1.200 €. Seit Mitte April bekommt er für knapp 700 Pfund kaum mehr als eine Handvoll Gemüse, früher reichte das für Tüten voller Tomaten, Zwiebeln und Auberginen. Wird diese Energiekrise nicht bald gelöst, stehen den Bewohner*innen in Landstrichen unter Assads Herrschaft trotz Konfliktende bittere Zeiten bevor. Schon jetzt schätzen UN-Organisationen, dass jede vierte Famile in vom Regime gehaltenen Gebiet akut von Armut bedroht ist. Keine Lage, in welche Syrer*innen aus Deutschland freiwillig zurückkehren würden.
Kein Frieden mit dem syrischen Staat
Das Regime um Assad hat in der Vergangenheit brutal bewiesen, wie es auf Kritik an ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen reagiert: mit brutaler Gewalt.
Als Erinnerung: die Proteste im März 2011 hatten neben der Forderung nach mehr bürgerlichen Freiheiten und einer Aufhebung der Notstandsgesetzte auch handfeste wirtschaftliche Hintergründe. Benzin- und Lebensmittelpreise waren aufgrund von geringer werdender Subventionierung vor allem für die arme städtische Bevölkerung immer weniger erschwinglich, Massenarbeitslosigkeit in den späteren Zentren des Auftstands wie Dera'a und Homs trieben Menschen auf die Straße. Auch nach der militärischen "Befriedung" weiter Teile des Landes durch eine Kampagne der verbrannten Erde kommt es vermehrt im Süden des Landes zu spontanen Demonstrationen. Die Politik der Versöhnung, die eine Übergabe von Rebellen gehaltener Gebiete gegen Amnestie und zeitweilige Befreiung vom syrischen Militärdienst beinhaltete, ist nie wirklich umgesetzt worden. Nach wie vor herrschen Furcht vor den allgegenwärtigen Geheimdiensten und Angst vor einer zwangsweisen Rekrutierung in den wieder eroberten Gebieten vor. Rückkehrende Familien, ob aus dem Ausland oder aus den vielen Camps für Binnenflüchtlinge, haben teilweise keine Häuser mehr in die sie zurückkehren können. Viele sind dem Erdboden gleich gemacht, andere werden im Rahmen einer Enteignungswelle (Dekret 10) faktisch seit diesem Monat ihren Besitz an Grundstücken und Häusern los.
Der Vorwurf, sich vor der Flucht ins Ausland oder in andere Landesteile als Kämpfer für eines der vielen Oppositionslager betätigt zu haben, trifft vor allem die jungen Männer. Jeder Checkpoint, jede Polizeikontrolle bedeutet für sie die Gefahr willkürlicher Verhaftung und Folter. Führende Generäle des Regimes überboten sich im letzten Jahr mit drastischen Drohungen, was denjenigen blühen würde, die Syrien "feige verlassen" hätten. Diesen Menschen droht im schlimmsten Fall die sofortige Inhaftierung und Folter, im besten Fall ein unsicheres Leben in einem Geheimdienststaat wie er seit 40 Jahren existiert. Ein friedliches, sicheres Leben ist so auf absehbare Zeit unmöglich. Breite Teile der Gesellschaft haben der Regierung Assad nur aus Angst vor fortwährenden gewaltsamen Eskalationen nachgegeben, aber sich nicht mit dem repressiven Machtapperat abgefunden. Ein brüchiges Stillhalteabkommen.
Erzwungene Migration als Herrschaftsmittel
Ein Zurückkommen vieler Syrer*innen aus dem Ausland liegt zudem momentan nicht im Interesse der Regierung Assad. Natürlich sind nicht alle, die vor dem Konflikt in Syrien geflohen sind automatisch Gegner*innen Assads. Viele flohen aber auch gerade wegen der berechtigten Angst aufgrund ihrer Meinung oder schlicht ihrer Herkunft vom Regime verfolgt oder angegriffen zu werden. Der überwiegende Teil der im Ausland lebenden Syrer*innen wird es sich zweimal überlegen, ob eine Rückkehr für sie die bessere Wahl zum Verbleib im Ausland darstellt. Das Raster der Geheimdienste in Syrien ist nicht besonders fein, oftmals reicht schon der Vermerk des Herkunftsorts im Ausweis aus, um für eine genauere Überprüfung interniert zu werden. Zentren des Widerstands wie das Umland von Hama, Aleppo, Damaskus und Dera'a werden nach wie vor als Unruheherde betrachtet, die Bewohner*innen unter Generalverdacht gestellt.
Der blutige Bürgerkrieg wurde auf Seiten des Regimes auch dafür genutzt, unliebsame Bevölkerungsteile zu vertreiben und sukzessive zwangsweise umzusiedeln. Die berüchtigten grünen Busse, die nach jeder erfolgreichen Offensive der syrischen Armee die Überlebenden aus ihren Heimatorten in die letzten Rebellenenklaven bringen, sind in der Region mittlerweile ein trauriges Symbol für "demographic engineering" geworden. Der Begriff bezeichnet neben dem Kriegsverbrechen der Vertreibung, welche nach Beendigung eines Konflikts potenziell umkehrbar wäre, das auf langfristige Veränderung demographischer Verhältnisse durch militärischen Zwang und bürokratische Prozesse angelegte Handeln einer Konfliktpartei. Diese stückweise Veränderung der demographischen Landschaft Syriens wird den Konflikt auf Generationen verfestigen. Schon heute sind die Auswirkungen von Vertreibung, erzwungener Migration und Neuansiedlung zu sehen. Rund um die südlichen Vororte von Damaskus bis hin an die Grenze zu Libanon entstehen schiitische Nachbarschaften, wo vorher Sunniten lebten.
In dem vorwiegend von Sunniten bewohnten Viertel rund um die Umayyaden-Moschee in Alt-Damaskus werden seit vier Jahren systematisch iranische Schiiten angesiedelt. Hier zu sehen der Innenhof der Moschee 2011. ©Kietzmann
Pikanterweise siedeln sich dort Angehörige jener Milizen an, die von Iran und Irak unterstützt das Gros der Bodenkämpfe auf Seiten Assads ausfechten. Tausender dieser Kämpfer haben die syrische Staatsbürgerschaft erhalten, seit 2018 verstärkt sich der Trend zur Segregation mit der Rückeroberung des Umlandes von Damaskus massiv. Gewachsenes Zusammenleben der verschiedensten Volks-und Religionsgemeinschaften wird so zertört, einfach zu beherrschende, homogene Bereiche sollen geschaffen werden. Für Assad und sein Regime von besonderer Bedeutung sind dabei die Nachbarschaften rund um die Umayyaden-Moschee in der Altstadt Damaskus', ein traditionelles sunnitisches Handwerks-und Händlerviertel und die südlichen Viertel der Stadt Richtung Flughafen. Dort ist eines der wichtigsten Heiligtümer der Zwölfer-Schiiten angesiedelt, wie ein Kordon entstehen seit vier Jahren rein iranisch-schiitische Viertel um diese beiden religiös extrem aufgeladenen Stätten. Für viele Syrer*innen gibt es aufgrund dieser Politik kein Zuhause, in das sie zurückkehren könnten, selbst wenn Grund und Boden nicht zertört oder in Staatsbesitz übergegangen ist.
Fehlende Voraussetzungen
Die populistische Forderung nach einer Rückkehr ist für viele Syrer*innen schlicht ein Ding der Unmöglichkeit, selbst wenn in vielen Landesteilen Syriens die Kriegshandlungen beendet sind. Die Gründe, die vielfach auch zur Flucht beigetragen haben sind nicht verschwunden, sondern in vielen Fällen sogar noch drastischer geworden, neue Fluchtgründe sind hinzugekommen. Zudem macht das Regime in wenig verhohlenen Andeutungen klar, was diejenigen zu erwarten haben, die nicht als absolut loyal gegenüber Assad eingestuft werden. Eine ehrliche Diskussion um eine Rückkehr nach Syrien sollte vor allem deshalb mit den Syrer*innen in Deutschland und nicht über ihre Köpfe geführt werden. Viele wollen zurück, jedoch nicht so lange Assad und sein Regime an der Macht sind. Nicht um dem Preis der ständigen Gefahr eingesperrt zu werden. Nicht ohne eine reale Chance auf ein Leben in ihrer Heimat und nicht fernab in einem fremden Haus. Der Prozess der Verteibung, der auch von verschiedenen Oppositionsgruppen im Bürgerkrieg genutzt wurde, wird noch lange hässliche Narben auf der Landkarte Syriens hinterlassen.
Ein Grund mehr, Menschen die Entscheidung selbst zu überlassen, ob das noch "ihr" Syrien sei und sie dahin zurückkehren wollen.
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by CadusPR
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