In Gedanken bin ich noch immer in Mossul
Miri war drei Wochen für uns als Technikerin im Einsatz. Sie berichtet mit ihrem ganz persönlichen Blick auf die Situation und ihren Alltag im TSP, zwischen Verwundeten, den Schatten des Kriegs und der Notwendigkeit humanitärer Hilfe – auch über die eigenen Belastungsgrenzen hinweg. Der Einsatz hat sie mit vielen Fragen zurückgelassen und ihre Sicht auf die Welt ein Stück weit verändert.
Mossul, Juni 2017
"Ich sitze im Flugzeug. In drei Stunden werde ich in München landen. Hinter mir liegt Mossul, liegen drei intensive Wochen mit dem mobilen Krankenhaus von CADUS, hinter mir liegen Zerstörung und Trümmer. Krieg.
Vor drei Wochen kam ich in Erbil an, bereit, nach Mossul zu fahren. In eine Stadt, in der der Krieg tobt, die der IS vor drei Jahren zu seinem Zentrum erklärte, wo das Kalifat ausgerufen wurde, der Gottesstaat, wo die Menschen nach Islamischen Regeln leben oder sterben mussten.
Habe ich keine Angst?
Noch ist das Gefühl zu vage, das ich mit dieser Stadt verbinde, noch weiß ich nicht, was mich dort
erwartet.
Dann geht es los. Die letzten Besorgungen noch gemacht und die Rettungssanitäterin aus Australien am Flughafen abgeholt. Sie wird keine Zeit haben sich zu akklimatisieren, es geht sofort weiter. Vorne weg fährt Ahmed, unser Fahrer, mit einer Französin der ich noch öfter begegnen werde. Sie ist Sanitäterin beim Militär und kam einst mit den Free Burma Rangers hier an, einer militanten christlichen Gruppe aus den USA, die hier mitsamt ihren kleinen Kindern unterwegs ist, um den IS zu bekämpfen und um humanitäre Hilfe zu leisten. Aber Frauen wollen sie dann doch nicht direkt an der Front dabei haben, konservative Werte gelten hier eben auf beiden Seiten. Also arbeitet sie jetzt mit der 9. Division, einer Einheit vom irakischen Militär, mit der auch wir aus Sicherheitsgründen zusammenarbeiten. In gewisser Weise ist sie verrückt. Verrückt und mutig,wie so viele hier. Später werde ich lernen: 'normal people get crazy and crazy people are useful'. Und später erfahre ich auch mehr über die anderen Verrückten in Mossul. Irgendwie werde ich wohl auch dazu gehören.
Das Cadus-Team bei der Versorgung eines Kleinkindes. Foto: Kenny Karpov
Aufregung ja, so wie vor jeder Reise ins Ungewisse.
Sicher bin ich mir der Situation nicht vollends bewusst.
Die Strecke geht übers Land, durch zerstörte Ortschaften, vorbei an vernachlässigten Feldern. Noch sind hier weite Teile des Gebiets nicht von Minen gesäubert. Der IS hat seine selbstgebastelten, improvisierten Bomben, die sogenannten IEDs (Anm.: Improvised Explosive Device) überall verteilt, und es wird lange dauern, bis das Land minenfrei ist. Immerhin grasen hier schon wieder Kühe.
Wir fahren in den Westen der Stadt, hier liegt die Altstadt, die noch immer vom IS kontrolliert wird, und die so verwinkelt ist, dass es dem Militär unmöglich ist, mit seinen gepanzerten Fahrzeugen hineinzufahren. Hier wird der Krieg zu Fuß geführt. Ein Krieg der Scharfschützen und der Mörsergranaten. Auch aus der Luft wird angegriffen, aber dazu später mehr. Das alles muss zivile Opfer fordern, zumal noch geschätzte 100 000 Menschen in der Altstadt festsitzen. Daesh, so wird hier der Islamische Staat genannt, benutzt sie als menschliche Schutzschilde.
Unser TSP – der Trauma Stabilization Point, wo Verletzte erstversorgt werden sollen, bevor sie zum nächsten Krankenhaus gebracht werden, liegt etwa 1,7 km von der Frontlinie entfernt. Die Mörserreichweite, lasse ich mir sagen, beträgt etwa 3,5 km. Es wird also über unsere Köpfe hinweg geschossen. Beruhigend ist das nicht gerade, aber die Zahlen kann ich erfolgreich ignorieren, die Zerstörung, die uns auf dem Weg begegnet, allerdings nicht. Dieses Ausmaß habe ich nicht erwartet. Zumindest habe ich es mir nicht ausmalen können…hier besteht die Stadt stellenweise nur noch aus Schutt. Ausgebrannte Autos säumen die Straßen, die Häuser lassen sich teilweise nur noch erahnen. Trotzdem gibt es hier auch belebte Straßen. Läden, Werkstätten, Menschen. So viele Kinder. Manche winken uns zu. So mancher ungläubige Blick bleibt an uns hängen – viele Ausländer hat es hier in der letzten Zeit wohl nicht gegeben. Frauen ohne Schleier schon gar nicht.
Momentan gibt es nur eine provisorische Brücke im Norden der Stadt über den Tigris. Den Fluss, der diese Stadt teilt. Die fünf Brücken, die es hier einst gab, wurden allesamt zerstört. Bis vor kurzem wurde diese Brücke nur für militärische Zwecke genutzt, und wer in den Westen der Stadt wollte, musste einen langen Umweg nach Süden in Kauf nehmen, über Hammam al Alil. Immer tiefer fahren wir in die Trümmer hinein, bis Chris plötzlich auf die andere Straßenseite zeigt. Tatsächlich, da stehen unsere weißen Fahrzeuge mit dem roten Star of Life. Verstaubt aber unverkennbar.
Unser TSP in Mossul. Foto: CADUS
Sie sind vor den Überbleibseln einiger Häuser geparkt. Hier befindet sich das TSP und nebenan unsere Unterkunft, eine ehemalige Garage, nach vorne offen. Aber zu drei Seiten hin geschlossen und überdacht. Immerhin. Erschreckend nah an der großen Straße, abgeschirmt nur durch ein paar ausgebrannte Autowracks und Stacheldraht. Ziemlich im Nichts. Jetzt muss ich doch erstmal schlucken. Auf den Bildern, die ich bisher gesehen habe, sah es so aus, als sei das ganze abgeschirmter, in einem Innenhof.
Nun ja…zum schlucken bleibt mir nicht viel Zeit, denn wir werden schon mit großen Hallo begrüßt und willkommen geheißen. Irgendwie ist es auch schön, inmitten dieser Trostlosigkeit vertraute Gesichter zu sehen. Viel Zeit für Gespräche und persönlichen Austausch bleibt uns aber nicht. Die drei, deren Job wir übernehmen, werden mit Ahmed wieder zurückfahren. Die Brücke schließt um 18 Uhr, also machen wir uns an die Übergabe.
Auch Säuglinge werden im TSP behandelt. Foto: Kenny Karpov
Zwei Stunden Konzentration, dann noch ein eiliger Kaffee. Wir verabschieden uns schnell, noch die üblichen guten Wünsche – passt auf euch auf, ja immer, wenn was ist, meldet euch…danke, bis bald, hoffentlich…
Am nächstem Tag gilt es erstmal, sich hier zu orientieren. Pünktlich morgens um acht beginnt der Beschuss der Altstadt, Hubschrauber kreisen über unseren Köpfen und knattern was das Zeug hält. Noch ist das neu für uns, noch versammeln wir uns alle draußen, um dieses Schauspiel zu verfolgen. Da schau, ein Hubschrauber, und noch einer, der hat eine Drohne abgeworfen, da ist sie, kannst du das aufnehmen?
Das wird sich ändern. Die Schüsse und Explosionen werden bald so sehr zu unserem Alltag gehören, dass sie uns nicht einmal mehr aufblicken lassen. Nur, wenn es in unmittelbarer Nähe knallt, werden wir aufmerksam und ein bisschen vorsichtig. Aber in dieser ersten Nacht kann ich nicht schlafen. Es ist furchtbar heiß. Ich liege in meiner Hängematte, neben mir ein verstaubtes Autowrack. Das hat der IS, der hier einst sein Hauptquartier hatte, dagelassen und wir fassen es besser nicht an. Denn bisher hat es niemand auf Sprengkörper untersucht. Mir ist es egal. Ich liege da und horche in die Nacht. Schüsse, immer wieder Explosionen, Störgeräusche in den Funkgeräten, und um vier Uhr morgens das Konzert der zahlreichen Moscheen in der Umgebung.
Ich stehe früh auf und sehe zu, wie die Sonne über der Stadt aufgeht und wundere mich über die Schönheit des Moments. Der Schutt und der Müll sind in ein goldenes Licht getaucht und die Kulisse bekommt einen merkwürdigen Charme. Ein kurzer andächtiger Moment.
Früh schon werden die ersten Verletzten hergebracht. Für mich ist das neu, eigentlich kann ich kein Blut sehen. Ob sich das ändern wird, oder in Stresssituationen einfach anders ist? Mittlerweile habe ich so viel Blut gesehen wie in meinem ganzen vorherigen Leben nicht. Das haut mich nicht um. Aber es gibt Momente, in denen mein Kreislauf nicht mehr mitmacht, in denen die Situation mich schwach werden lässt. Der Moment, wenn die Menschen sterben, wenn mir klar wird, dass die Hilfe zu spät kam und der Körper der da liegt, plötzlich leblos wird. Dann geht alles ganz schnell. Der Leichensack wird auf den Boden gelegt und alle helfen mit, die oft großen schweren Körper vom Tisch zu heben. Manchmal noch ein Moment des Schweigens, ein kurzes Gebet, oft aber auch nicht, der Reißverschluss wird zugezogen, ein Zettel draufgeklebt und weg. Wohin? Ich weiß es nicht.
Besprechung vor dem TSP. Foto: Kenny Karpov
Einmal wird ein Junge zu uns gebracht. Vielleicht acht Jahre alt, vielleicht älter, die Kinder sind hier klein und schmal, die Ernährung schlecht. Er ist beim spielen in eine Mine getreten und hat zahlreiche Wunden am ganzen Körper. Sein Bruder hat ihn zu uns gebracht, nachdem er eine halbe Stunde herumirrte, um Hilfe zu suchen. Eine halbe Stunde zu viel. Verzweifelt versuchen wir, ihn zu retten, ihn zu reanimieren. Sein Bruder geht vor der Tür auf und ab, reckt die Hände zum Himmel. Irgendwann geben wir auf. Er hat zu viel Blut verloren.
In diesem Moment hört alles auf.
Die Welt steht für einen Moment still.
Tiefe Trauer bei uns allen.
Er hätte überlebt, wenn die Hilfe schneller gekommen wäre. Dieser kleine Tote lastet schwer auf unseren Gemütern. Er wird nicht der letzte sein.
Die Gesichter sind dann ernst, jeder ist mit sich und seinen Gedanken allein in solchen Momenten. Oft reden wir später nochmal darüber, was uns bewegt, beschäftigt, bedrückt. Nicht immer. Manchmal ist mir nicht nach reden zumute, manchmal will ich einfach nur alleine sein, die Tränen laufen lassen und nichts erklären, aber dafür ist hier kein Platz. Also suche ich mir irgendeine Ecke, höre Musik und sage, dass ich allein sein will.
Keine Privatsphäre. Nirgends und nie. Hier ist es wichtig, sich gegenseitig in Ruhe zu lassen. Ziemlich bald merke ich, dass die ständige Fragerei, ob es mir gut geht, ob alles in Ordnung ist, mir auf die Nerven geht. Ja, es ist wichtig aufeinander zu achten, sich gegenseitig zu signalisieren, dass man füreinander da ist, Gespräche zu führen. Aber in dieser Enge brauche ich auch meinen Raum. Manchmal ist es gar nicht so einfach, richtig zu reagieren, der Grat zwischen Nähe und Distanz ist ziemlich schmal. Im Großen und Ganzen schaffen wir es aber ganz gut, den Mittelweg zu finden.
Irgendwann entwickelt sich hier so etwas wie Alltag. Unsere Crew verändert sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit, und auch unsere Wachen und die Sanitäter im TSP, bei den Militärs heißt das CCP – Casualty Collection Point. Verwundeten-Sammelstelle.
Die Rettungsstation teilen wir uns mit der 9. Division von der Irakischen Armee. Ohne Militär ist es hier leider unmöglich zu arbeiten. Zu unsicher. Unsere Guards haben sich im zerstörten Hammam nebenan eingerichtet. Einst ein wunderschönes Gebäude, das können wir noch erkennen. Heute nur noch eine Ruine, voller Müll und leerer Patronenhülsen. Manchmal gehen wir hier auf das Dach und schauen Richtung Altstadt. Dichte Rauchschwaden steigen dort auf. Die Stadt wird dem Erdboden gleich gemacht, obwohl da immer noch Menschen leben.
Was ich über Soldaten, die Armee und Militär denke, vergesse ich hier am besten ganz schnell. Wir leben und arbeiten hier so eng zusammen, dass es unmöglich ist, sich aus dem Weg zu gehen. Wir essen miteinander, scherzen miteinander und ich beginne bald, die Menschen hinter den Uniformen zu sehen. Alles ganz liebe Leute, aber so ganz kann ich doch nicht ausblenden, welches Gesicht das Militär eigentlich für mich hat und was ich diesen netten Jungs noch so alles zutraue. Einer der Generäle, den wir in einem anderen Krankenhaus besucht haben, um unsere Hilfe anzubieten, sagt, dieser Krieg sei so unglaublich, weil sie gezwungen seien, ihre eigene Stadt zu beschießen, ihr Land zu zerstören, ihre Leute.
Die Sicherheitslage erfodert den Schutz des irakischen Militärs. Dabei wird auch mal zusammen gegessen. Foto: Kenny Karpov
Den Krieg hat sich hier niemand ausgesucht. Die Menschen versuchen, sich zu befreien. Aber was wird hier am Ende noch übrig sein? Was bewirkt dieser Krieg in den Menschen, die hier leben? Was machen all diese Bilder von Grausamkeit und Zerstörung mit ihnen? Wie lange wird es dauern, bis das alles repariert und wiederaufgebaut ist?
Und damit meine ich nicht nur die Häuser und Straßen…
Aber zurück zu unserem Alltag. Die Nächte verlaufen einigermaßen ruhig. Die Tage wechselhaft. An manchen Tagen machen wir kaum eine Pause. Die Verletzten werden meist mit Humvees, den gepanzerten Fahrzeugen der Armee angeliefert. Oft werden sie irgendwo auf der Straße aufgelesen, oder aus den Trümmern ihrer eingestürzten Häuser hervorgezogen. Soldaten und Zivilisten. Frauen, Männer, Kinder, Greise. Der Krieg macht da keine Unterschiede. Wir helfen allen. Viele Verletzungen sind frisch, manche sind schon einige Tage alt und nur notdürftig versorgt. Hier gibt es Verbrennungen, Schuss- und Schrappnellverletzungen, Brüche, Quetschungen. Manche, die zu uns gebracht werden, sind regelrecht zerfetzt. Einigen fehlen die Beine, manchen nur ein Finger. Schmerzen haben sie alle. Körperliche und seelische. Und alle werden sie ein Leben lang gezeichnet sein. Alle haben schreckliche Verluste erlebt, ich möchte mir kaum vorstellen, was diese Menschen mitgemacht haben, das Maß an innerer Zerstörung muss grenzenlos sein.
Dann gibt es wieder Tage, an denen kaum Trauma-Patienten bei uns ankommen. Nur die zahlreichen Menschen, die hier morgens Schlange stehen, um medizinische Grundversorgung zu erhalten.
Zum Glück stößt irgendwann der italienische Kinderarzt zu uns. Er hat viel zu tun und er tut es mit Hingabe. Das ist schon sein siebter Krieg, sagt er. Er macht seine Arbeit gut und ist unermüdlich. Und er macht gute Spaghetti. Bis er kam, habe ich schlecht gegessen, seit er da ist, ändert sich das wenigstens ein bisschen.
Mein Alltag besteht außerdem darin, den Laden in Schuss zu halten. Wasser auffüllen, alles Mögliche reparieren, einkaufen, den Überblick behalten, wissen, wo was ist, saubermachen. Nein, das ist eigentlich Aufgabe aller, ich mache es trotzdem, besonders, wenn es im TSP brennt. Immer wieder erreiche uns Nachrichten von Selbstmordanschlägen. Wir sollten den Markt meiden. Aber wo sollen wir sonst einkaufen? Also fahren wir trotzdem hin. Außerdem helfe ich im TSP. Tue was ich kann – viel ist es nicht und oft fühle ich mich nutzlos und hilflos. Aber ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen und mache weiter. Fülle die Schränke wieder auf, werfe die blutigen Unterlagen weg, reiche Dinge an und übernehme die Dokumentation.
Die ist einerseits wichtig für das Krankenhaus, denn hier werden Verletzungen, Vitalwerte, Behandlung und Medikation aufgeschrieben. Andererseits auch für eine Statistik der WHO. Wir erfragen außerdem Namen und Alter der Patienten, auch die Ursache ihrer Verletzungen. Das übernimmt Tiger, unser Übersetzer. Er war jahrelang Übersetzer bei der Armee, jetzt arbeitet er als Englischlehrer. Und er hat lange auf dem Bau gearbeitet, später Eisblöcke verkauft, ich weiß nicht, was noch alles. Hier lebt er mit uns zusammen. Er hat drei Kinder und eine Frau, sie leben zwischen Mossul und Erbil, manchmal fährt er sie für ein paar Tage besuchen, dann steht er uns wieder rund um die Uhr zur Verfügung. Er ist immer dabei, sieht all das Leid mit an. Einmal sagt er mir, dass er bei jedem Verletzten und bei jedem Toten, bei jeder Tragödie, die sich vor unseren Augen und unter unseren Händen abspielt, innerlich weint. Ich sehe ihm diese Tränen an und fühle mich ihm verbunden. Mir geht es ähnlich.
Aber wir lachen auch viel, tauschen uns aus über alles Mögliche. Tiger kann wunderbar Geschichten erzählen. In einer anderen Zeit, an einem anderen Ort stelle ich ihn mir als Geschichtenerzähler in einem Kaffeehaus vor. Durch ihn bekomme ich eine Ahnung von der Schönheit der arabischen Sprache…
Mittlerweile leben wir hier. Es gab zwischenzeitlich Situationen, wo über Flucht und Evakuierung nachgedacht wurde, wo sich die Sicherheitslage verschärft hat. Soweit, dass wir flüchten müssen, kommt es nicht. Einige kündigen an, dass sie in jedem Fall hierbleiben würden. Ich frage mich, ob es überhaupt jemand von uns fertigbrächte, abzuhauen, während hier Menschen schwer verwundet eintreffen. Irgendwie ist der Gedanke, hier abzureisen, wenn es brenzlig wird, auch absurd für mich. Hier sitzen hunderttausende Menschen fest und haben nicht die Möglichkeit überhaupt irgendwo hinzugehen. Da sollen wir einfach fahren, weil uns der Krieg nun doch zu nahekommt?
Trotzdem, der Crewwechsel steht an und ich bin ziemlich reif für eine Pause. Ich brauche Abstand ich brauche Raum für mich. Einfach mal wieder durchatmen, das Geschehene und Gesehene verarbeiten. Am letzten Tag bin ich schon ziemlich wacklig auf den Beinen und möchte eigentlich nur noch schlafen.
Die Ablösung ist schon da, ich packe meinen Rucksack, ich bin froh, werde mich ausruhen können, gleichzeitig bin ich auch traurig. Trotz all der Anstrengung und des Schreckens, war ich gerne hier, und ich bin mir sicher, dass ich wiederkomme. Aber darüber werde ich erst in ein paar Tagen nachdenken…
Tobi bei der Versorgung einer Fußwunde. Foto: Kenny Karpov
Jetzt bin ich seit drei Tagen wieder zuhause und bin endlich ausgeschlafen.
Aber, was ich in den letzten Wochen gesehen habe, lässt mich nicht los. In Gedanken bin ich noch immer in Mossul. Noch immer oder schon wieder. Sicherlich hat sich in mir etwas verändert und sicherlich habe ich einen Teil meiner Unbeschwertheit verloren. Und ich denke, das ist auch gut so. Tobi, der nicht zum ersten mal humanitäre Hilfe im Kriegsgebiet leistet, sagt, dass das, was in uns zerbricht, angesichts dieser grausigen Erfahrungen, vielleicht auch nur die Illusion einer schönen Welt ist, die an der Realität zerschellt.
Er hat bestimmt recht, aber ich will nicht aufhören auch an das Schöne zu glauben.
Es gibt so viele Tränen, die zu weinen sind. Und es gibt noch so viel zu tun!"
Veröffentlicht:
Verfasser*in: von Jonas Grünwald
by CadusPR
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