Kein al-Hol ist auch keine Lösung
Camps für Geflüchtete sind einerseits notwendig um denjenigen, die vor Gewalt und Verfolgung fliehen, ein sicheres Leben zu ermöglichen. Trotzdem sind sie politisch häufig nicht gewollt oder befinden sich in finanzschwachen Staaten und demnach bleibt die Infrastruktur trotz jahrelangem Bestehens meist unterentwickelt. Seit einigen Jahren setzt aber ein Umdenken ein.
Weltweit sind knapp 70 Millionen Menschen auf der Flucht vor Kriegen, bewaffneten Konflikten oder Verfolgung. Der überwiegende Teil dieser Menschen bewegt sich allerdings nicht Richtung Europa oder den Vereinigten Staaten, auch wenn populistische Kampagnen dies seit Jahrzehnten gebetsmühlenartig wiederholen, sondern bleibt in der betroffenen Region. In weit über der Hälfte der Fälle verlassen Personen nicht einmal das Land, sondern leben als Binnenflüchtlinge in sichereren Landesteilen. Dies hat handfeste ökonomische Gründe, denn Flüge, Bus- oder Schiffsreisen sind für das Gros der globalen Bevölkerung schlicht ein nicht zu finanzierender Luxus. Hinzu kommen aber auch ganz lebenspraktische Beweggründe. Kein Mensch verlässt die eigene Heimat, das gewohnte Umfeld, Freunde, Familie, ja den ganzen Lebensmittelpunkt für immer, wenn nicht die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr besteht.
Viele Fluchtursachen waren im 20. Jahrhundert temporärer Natur: zwischenstaatliche Kriege, bewaffnete Konflikte und die Auswirkungen langanhaltender Naturkatastrophen wie Dürren. Mit klaren Bedingungen, Sieg oder Niederlage, und dem Wille zur Rückkehr zum status quo hatte vielfach auch die betroffene Bevölkerung die Möglichkeit in ihre Heimat zurückzukehren, wurde im Rahmen von Bevölkerungsaustauschen erzwungenermaßen umgesiedelt oder ist im Laufe der Auseinandersetzungen in andere Länder emigriert. Seit knapp 40 Jahren überwiegen mehr und mehr allerding Fluchtgründe, die keinen so klaren Bedingungen folgen, weshalb auch die Lage der zivilen Bevölkerung und damit der Zweck von Geflüchtetencamps einer neuen Bewertung bedarf. Zwar leben lediglich 4 Millionen in diesen Camps, seit 2007 steigt allerdings diese Zahl kontinuierlich und Regionen übergreifend*. Da CADUS derzeit auch in einem syrischen Camp arbeitet, lohnt es sich auch für uns, den Themenkomplex genauer unter die Lupe zu nehmen.
Kurzfristige Hilfe oder langfristiger Fluch?
Wie bereits erwähnt dienten und dienen Camps für Menschen auf der Flucht in erster Linie als Schutz- und Rückzugsraum. Für die Zeit in welcher eine Rückkehr unmöglich oder nicht vertretbar ist, soll dort ein Leben in Würde und Sicherheit garantiert werden, angedacht ist aber bewusst keine dauerhafte Etablierung als neuer Lebensmittelpunkt. Diese Camps entstehen daher primär an logistisch sinnvollen Routen, nahe Grenzpunkten oder am Rand großer Ballungszentren. Selten dort, wo Menschen sich freiwillig und gerne niederlassen würden. Praktische Erwägungen und oft auch politische Hintergründe spielen eine weitaus größere Rolle als eventuelle Wünsche der zukünftigen Bewohner*innen. Zeit für den Aufbau ist ebenso ein Faktor wie die Aufnahmebereitschaft des Landes, oder im Falle von Binnenflüchtlingen (IDPs, Internally Displaced Persons), der neuen Gemeinschaft. Ist diese gering oder werden die Ankommenden sogar als feindlich oder bedrohlich eingestuft, sinkt häufig der Wille zur Integration. Das mag funktionieren, wenn die Dauer eines Konflikts oder einer Dürre klar begrenzt, das Bestehen dieses Camps also nur von kurzer Dauer ist. So wurde bis vor 20 Jahren vielfach geplant, so bildete sich oftmals die Lage in den jeweiligen Ländern ab.
In den Camps, wie hier in Bajed Kandala im Nordirak, wachsen viele Kinder auf, die nichts anderes kennen als unter dauerhaft improvosierten Umständen in Zeltstädten zu wohnen. ©Christoph Löffler, 2018
Mit der Zunahme von Konflikten, die unterhalb eines zwischenstaatlichen Krieges liegen und dem Anstieg von Vertreibungen ganzer Bevölkerungsgruppen innerhalb von Staaten, wächst jedoch berechtigterweise die Sorge, dass diese Camps mehr Dauerzustand denn kurzfristige Lösung sind. Das weltweit größte Camp dieser Sorte, Kakuma, besteht seit 1992 im Westen Kenias und beherbergt mittlerweile Menschen aus 20 ostafrikanischen Staaten. Gegründet im Kontext der Konflikte in Somalia und Südsudan Anfang der 90’er leben knapp 190.000 Menschen hier, viele von ihnen bereits in zweiter Generation.
Zaatari in Jordanien ist vor allem im Zuge der Berichterstattung des deutschen Leiters auch in Deutschland ein Begriff, seit 2012 leben dort knapp 80.000 Menschen aus Syrien auf circa 5km² Fläche. Obwohl es durch Verteilung auf andere Camps, Resettlements** und Rückkehr nach Syrien langsam zu einem Absinken der Bevölkerungszahl kommt, die meisten Bewohner*innen werden nicht in ihre Heimatstädte und -dörfer zurückkehren, bevor der Konflikt militärisch und politisch gelöst ist. Beispiele wie Kakuma und Zaatari zeigen, dass eine Verfestigung von Camps stattfindet. Aus der kurzfristigen humanitären Lösung wird eine dauerhafte Struktur, eine Stadt. Wo Menschen sich auf Dauer niederlassen, möchten sie entscheiden, wie sie leben. Das reine Überleben ist gesichert, aber eine Rückkehr vielfach nicht möglich oder lediglich als wenig greifbare Zukunftsperspektive ahnbar.
Die Menschen leben häufig über Jahrzehnte in Geflüchtetencamps und entwickeln eine eigene Ökonomie, die alles bietet von Beleidungsgeschäften, Friseuren, Werkstätten bis hin zu Gastronomie. ©Christoph Löffler, Bajed Kandala im Nordirak 2018
Das stellt UN-Organisationen wie Gaststaaten vor die Herausforderung, gleich zu Beginn einer humanitären Krise die Dauerhaftigkeit der zur erbauenden Camps in Betracht zu ziehen sowie einen Ausgleich zwischen akuter Hilfe und langfristiger Unterstützung zu schaffen. Container und Zelte mögen für ein paar Monate eine adäquate Unterbringung sein, länger sind sie jedoch eine Zumutung. Planungen an den Bedürfnissen der Bewohner*innen vorbei führen im besten Fall zu kreativen Eigenlösungen, wie im Falle Zaataris. Tausende von identischen Containern wurden nachts immer wieder umgestellt, abgebaut und neu gestaltet, bis die Verwaltung des Camps schlussendlich den Bewohner*innen Baumaterialien zur Verfügung stellte, statt jedes Mal neue Container anzuschaffen, die nicht akzeptiert wurden. Eine längerfristige Unterbringung in Camps fernab der Restbevölkerung erschwert sowohl soziale Integration als auch ein Leben in Selbstständigkeit. Wirtschaftskreisläufe entstehen erst langsam in solchen zu Städten anwachsenden Camps, soziale und kulturelle Einrichtungen stehen gerade zu Beginn des Baus nicht sehr weit oben auf der Prioritätenliste. In vielen Ländern des Nahen Ostens sind Camps daher häufig zu Parallelgesellschaften geworden. Lediglich geduldet, ohne sinnvolle Anbindung an die Gesellschaft und sehr oft unterversorgt.
Neue Ansätze
Dass es auch anders geht, zeigen Entwicklungen im Campmanagement. Verstärkt wird bei der Einrichtung auf die Fluchtursachen gesschaut und versucht zu prognostizieren, ob ein Geflüchtetencamp kurz- mittel- oder langfristig bestehen bleiben wird. Interdisziplinäre Teams entwerfen Sektionen innerhalb des Camps und stellen für die Anfangszeit Unterkunft, Sanitäreinrichtungen und sorgen für eine Grundversorgung. Sobald diese abgedeckt wurde und eine längerfristige Bleibeperspektive absehbar ist, entstehen gemeinsam mit den Bewohner*innen Programme und Konzepte, die eine funktionierende Ministadt ermöglichen. Das ist allerdings nur da möglich, wo Spendentöpfe gefüllt sind oder finanzstarke Staaten diese Bestrebungen innerhalb ihrer Grenzen mittragen.
Gemauerte Gebäude, Zelte und Container wechseln sich im Camp in al-Hol, Nordostsyrien, ab. Das Gebäude mit dem roten Rahmen ist das Feldkrankenhaus, das von CADUS unterstützt wird. ©CADUS
Die meisten Geflüchteten lebten 2018 allerdings in der Türkei (3,5 Millionen), Pakistan und Uganda (1,4 Millionen), Libanon (1 Million) und Iran (ca. 945.000). Nicht unbedingt die wirtschaftsstärksten Staaten und zusätzlich ebenfalls von regionalen Konflikten betroffen. Noch sind Gaststaaten und Geberländer nicht komplett auf einer Linie, wie mit dieser Entwicklung umzugehen ist. Klar muss sein, die Vogel-Strauß-Methode bringt nichts und auch wenn niemand das will – viele Camps bleiben über Jahrzehnte bestehen. Jahrzehnte, in denen Generationen entweder in einigermaßen lebenswerten Umständen und weitgehend selbstbestimmt leben können oder abhängig von externer Hilfe gemacht werden. Es macht einen Unterschied, ob jemand jeden Morgen zur Schule geht, in einem Camp eine Arbeit hat und sich selbst versorgt oder konsequent von Transferleistungen abhängt, ohne Möglichkeit breite Teile des eigenen Lebens zu bestimmen.
Für uns bedeutet ein Leben in Würde auch und gerade in der größten Not, selbstbestimmt handeln zu können. Selbst zu entscheiden, wie gelebt wird. Das ist, und damit schlagen wir den Bogen zur aktuellen Arbeit in al-Hol, gerade in der Anfangsphase eines Camps ein Drahtseilakt. Gerade, wenn wie in Syrien kaum Ressourcen bereitgestellt werden können und daher gebaut oder geplant werden muss, wie eben Geld da ist. Unser Anspruch im Kleinen ist aber trotzdem, an den Entscheidungen, die gemeinsam mit den Menschen vor Ort entwickelt werden können, diese auch miteinzubeziehen. Durchschnittlich verbringen Menschen auf der Flucht mehr als 12 Jahre in einem Geflüchtetencamp. Unsere Hoffnung ist, dass die jetzigen Bewohner*innen von al-Hol die Ausnahme von dieser traurigen Regel werden.
*https://www.unhcr.org/figures-at-a-glance.html
**Resettlement bezeichnet die dauerhafte Aufnahme besonders schutzbedürftiger Geflüchteter aus einem Land, in dem sie bereits als Geflüchtete leben, in einen zur Aufnahme bereiten Drittstaat.
Veröffentlicht:
Verfasser*in:
by CadusPR
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