Menschenrechtsfreie Räume: Idlib und die griechisch-türkische Grenze
Die EU hat einmal mehr die Möglichkeit zu zeigen, aus welchem Holz sie in Bezug auf Menschenrechte geschnitzt ist. Und wie so oft hört man das Holz krachend bersten.
Geflüchtete als Druckmittel
Millionen Geflüchtete aus der Türkei und an der Grenzmauer zu Idlib werden von Erdoğan als Druckmittel für weitere Milliarden der EU benutzt, die sich damit eine vermeintliche Flüchtlingswelle vom Hals hält. Um einen Ausblick auf das zu liefern, was da kommen könnte, lässt Erdoğan tausende Geflüchtete mit Bussen an die türkisch-griechische Grenze karren. Bis zu 15.000 Menschen harren dort in eisiger Kälte aus.
Zusätzlich landen wieder mehr Boote mit Migrant*innen auf den griechischen Agäisinseln. Griechenland, aufgerieben zwischen tatenloser EU und taktierender Türkei, reagiert mit hilfloser Gewalt. Von Tränengas, illegalen Push-Backs, Schlägen, Kenterversuchen durch die Küstenwache bis zum Einsatz scharfer Munition ist alles dabei. Schon jetzt gibt es erste Todesopfer zu beklagen.
Und auch der rechte Mob mischt mit. Auf Lesbos greifen Maskierte Geflüchtete, Journalist*innen und Helfer*innen an und verhindern das Anlegen weiterer Boote, ein ehemaliges Geflüchtetenlager wurde niedergebrannt. Die Sicherheitskräfte schauen meist tatenlos zu. Bilder, die in Deutschland vielleicht an rassistische Pogrome wie in Rostock-Lichtenhagen 1992 erinnern.
Abschottung um jeden Preis
Griechenland scheint die Situation weiter zu entgleiten. Seit Jahren ist das berüchtigte Lager Moria auf Lesbos überfüllt, mit mittlerweile 20.000 Menschen in einem für 3000 Personen ausgelegten Camp. Immer wieder gab es hier in den letzten Jahren Ausschreitungen aufgrund der miserablen Zustände, die auch durch internationale Organisationen immer wieder kritisiert wurden. Auch das Lager auf der Insel Samos ist weit über seine Kapazitäten belegt. Die Strategie der griechischen Regierung, keine Geflüchteten aufs Festland zu lassen um dort befürchtete Proteste der griechischen Bevölkerung zu umgehen, geht voll auf die Kosten der Geflüchteten und liefert sie dem mittlerweile handfesten Unmut des rechten Teils der Inselbewohner*innen aus.
Zeitgleich versucht die griechische Führung Entschlossenheit zu demonstrieren und setzt kurzerhand das Asylrecht für (vorerst) einen Monat aus. Mittlerweile scheint jedes Mittel recht um sich nicht um die hilfesuchenden Menschen kümmern zu müssen: von eher merkwürdigen Ideen wie der, schwimmende Barrieren in der Ägäis um Flüchtlingsboote abzuhalten, bis hin zu Schießübungen der Armee auf den Inseln, um im Zweifelsfall auf Geflüchtete zu feuern.
Aufweichung von Menschenrechten
Aber nicht nur in Griechenland wird am Recht auf Asyl gesägt. Kürzlich urteilte der europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Institution des Europarates mit europaweit 47 Mitgliedsstaaten, dass sogenannte Push-Backs, also direkte Massenabschiebungen ohne Anhörung der einzelnen Person, nicht gegen die geltende Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen würde. Die perfide Logik hinter dem Urteil: wer illegal einreist und damit Gesetze bricht, hat keinen Anspruch mehr darauf, nach geltendem Recht behandelt zu werden. Was früher noch ein eklatanter Verstoß gegen Menschenrechte war, wird so schnell zu legitimer Praxis erklärt, wenn es den eigenen Zielen nützt.
Sehenden Auges in die Katastrophe
Dabei hätte vieles von dem, was jetzt passiert verhindert werden können. Die Entwicklung war vorhersehbar: die humanitäre Katastrophe in Syrien, die Menschen in Idlib eingesperrt zwischen vorrückender syrischer Armee und türkischer Grenzmauer, in deren Richtung sie mit Bomben und Raketen getrieben werden. Der steigende Druck auf die Türkei in der Konfrontation mit Syrien und seinem Verbündeten Russland. Die Tatenlosigkeit der EU und anderer westlicher Staaten angesichts der hoffnungslosen Lage der Menschen in Idlib und der massiven Brüche des Menschen- und Völkerrechts hat ihren Teil dazu beigetragen.
Und dann wäre da noch Griechenland, wo die Geflüchteten unter unwürdigsten Bedingungen auf den Ägäisinseln leben. Anstatt eine vernünftige Verteilung auf die EU-Staaten zu organisieren werden dort konzentriert auf engstem Raum erst die Bilder erzeugt, auf die rechte Strömungen und Parteien nur gewartet haben, um ihren Rassismus zu befeuern. Zusammen mit der Untätigkeit der EU auf der einen und ihrer Abschottungspolitik auf der anderen Seite, erzeugt das ein Klima, in dem sich rechte Täter*innen bestätigt fühlen und Übergriffe wie auf Lesbos und Morde wie zuletzt in Hanau erst möglich werden. Das Problem heißt Rassismus!
Die Zivilgesellschaft ist gefragt
Ob in Idlib oder Griechenland: die EU hat ein weiteres mal bewiesen, dass die europäischen Werte verhandelbar sind, sollte es den eigenen Zielen dienen, und dass gemeinsame, unveräußerliche Rechte nur auf dem Papier für alle Menschen gelten. Es liegt an uns allen dieser Entwicklung entschieden entgegenzutreten, die EU an ihre Verantwortung zu erinnern und für die Einhaltung elementarer Menschenrechte zu streiten.
Veröffentlicht:
Verfasser*in: von Jonas Grünwald
by CadusPR
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