Rettungskette
Der Krieg in der Ukraine fordert weiter Opfer und Verletzte. Louis, als Medic für CADUS vor Ort gewesen, nimmt uns mit an den Bahnsteig von Lviv, an dem ein Zug mit Patient*innen aus der Ostukraine eintrifft.
"Louis für Mike“, schallt es über das Funkgerät.
„Hört“, geb ich zurück.
„Ich hab hier einen Patienten für euch. Er hat Verletzungen von einem Luftangriff erlitten.
Er ist aber stabil. Ich stell mich vor die Tür.“
„Ja, wir kommen.“
Wir nehmen die Trage von dem Rettungswagen und schieben sie über den Schotter des alten Bahnsteigs. Vorbei an um die 20 anderen Autos, durch die Menschenmenge
hindurch. Es wirkt chaotisch an diesem Tag auf dem alten Bahnhof mitten in Lviv. Soeben ist ein alter Zug aus dem Osten der Ukraine dort angekommen. In ihm sind viele Menschen.
Menschen, die als Patienten ihre Heimat der Ostukraine verlassen haben. Menschen, die unter Kriegsverletzungen leiden und in diesem, zu einer Art Klinik umfunktionierten, alten
Personenzug über 19 Stunden hierher transportiert wurden.
Seit knapp einer Stunde warten wir unter Anspannung auf ihre Ankunft. Wie viele Personen ankommen und in welchem Zustand sie sind, ist uns bis zu ihrem Eintreffen noch unklar. Unsere Aufgabe besteht darin, den ukrainischen Rettungsdienst in der Versorgung und den Transport der kritischeren Patient*innen zu unterstützen und die Weiterfahrt in die städtischen Kliniken zu ermöglichen.
Die Rettungsteams warten gespannt auf die Ankunft des Klinik-Zuges. ©CADUS
Am Waggon, wo Mike steht, blättert der blaue Lack ab, der Rost frisst sich durch die Türen. Seine Stimme ist nur schwer zu verstehen, um uns herum laufen in eiligem Schritt
Menschen in jede Richtung und rufen sich über den Staub des Bahnhofs Dinge in uns unverständlicher Sprache zu. Der Motor des Zuges brummt. Mike teilt uns mit er habe mit dem lokalen Koordinator gesprochen und die Patient*innen alle einmal gesichtet. Sie alle seien weitestgehend stabil und hätten hauptsächlich Amputationsverletzungen. Sowie unserer auch.
Wir heben unsere Trage über die Lücke zwischen Zug und Bahnsteig in den engen Gang des Waggons. Einige Mitarbeiter in weißen MSF (Ärzte ohne Grenzen) Westen helfen uns mit der starren Trage um die Ecke in die Länge des Waggons zu biegen. Dort ist es dunkel. Durch die Fenster fallen Lichtkegel auf die Betten, welche der Reihe nach längs entlang des dünnen Ganges aufgestellt wurden. Zwischen bereits geleerten Matratzen liegen in einigen der Betten noch Personen in Verbänden gekleidet und schauen erschöpft den Mitarbeitern beim umher eilen zu. Unser Patient sitzt auf der Bettkante. Ein Mann, um die 40. Sein Arm ist in einen gelblich verfärbten Verband gewickelt und zwischen den Leinen des Verbandes stehen Metallstangen in rudimentärer Form heraus, welche eine Art Schienung bilden. Seine Klamotten sind abgetragen, seine Beine mit kleineren Wunden verschorft.
Der Zug ermöglicht es viele Patient*innen zeitgleich zu verlegen und eine medizinische Betreuung zu gewährleisten. ©CADUS
Empfangen werden wir zunächst von niemandem. Stattdessen wird uns eine Liste in die Hand gedrückt, daraus können wir lediglich die Medikation der letzten 20 Stunden entnehmen. Der Medikationsplan ist kompliziert, unter einer Vielzahl an Namen entdecken wir Propofol: ein Narkosemittel. Warum und wie man dieses Mittel in diesem Umfeld geben konnte ist uns unklar. Also fragen wir nach einem Arzt. Von einem anderen Bett drängen sich zwischen Tragen, Patienten und medizinischem Personal drei weiße Westen zu uns vor. Uns wird erklärt, unser Patient habe sich bei einem Luftangriff eine Fraktur des Oberarms zugezogen. Das Propofol sei zur Beruhigung während der langen Fahrt gegeben worden, da er unter der Belastung der Fahrt wegen psychologischer Traumata unruhig geworden sei. Der Arzt kann alle unsere Fragen beantworten. Angesichts der schwierigen Situation und der Erschöpfung der letzten 20 Stunden, bedanken wir uns beeindruckt und wenden uns dem Mann zu, welchen wir nun ins lokale Krankenhaus fahren werden.
Nach der Aufnahme des Patienten fährt der Rettungswagen in das nächste Krankenhaus. ©CADUS
Draußen auf dem Bahnsteig ist es bereits leerer geworden, die Rettungswagen machen sich alle nacheinander auf den Weg in die Kliniken. Es ist nur eine kurze Strecke, aber dennoch ein wichtiger Teil der Rettungskette. Die Züge werden von MSF gestellt und so wird die Evakuierung gefährdeter Menschen unter medizinischer Aufsicht ermöglicht. Unsere Aufgabe ist für die nächste Zeit die medizinische Versorgung weiterzuführen und die Übergabe an die Kliniken zu garantieren. Es ist eine Zusammenarbeit internationaler Kräfte, um die existierenden Strukturen vor Ort zu unterstützen, welche den enormen Herausforderungen zum Trotz ihr Bestes geben. Eine Unterstützung jener Menschen vor Ort, die entgegen ihrer Erschöpfung und Ängste in Solidarität mit ihren Mitmenschen Strukturen aufbauen und erhalten, um am Humanismus festzuhalten:
Menschen, die Menschen helfen, denen Unrecht getan wurde.
Veröffentlicht:
Verfasser*in: Louis
by CadusPR
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