In den kalten Nächten versuchen vor den Kämpfen geflohene Menschen, sich am Feuer zu wärmen. Foto: KRC

Freude und Sorge: Nordost-Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes

Am Morgen den 8. Dezember 2024 haben wir uns bei CADUS verwundert die Augen gerieben: Assad ist weg, das Regime in Syrien gestürzt nach 54 Jahren brutaler Diktatur. Diejenigen die die systematische Folter überlebt haben können die Gefängnisse verlassen. Menschen in Syrien und in der Diaspora feiern die Befreiung. Nicht ganz unbeschwert, denn wie sich die neuen Machthaber langfristig verhalten werden ist noch nicht abzusehen. Doch die Hoffnung auf ein neues, freieres Leben in Syrien ist groß.

Erneute Angriffe in Nordost-Syrien

Neun Jahre lang hat sich CADUS in Nordost-Syrien (North-East Syria, NES) humanitär engagiert, bis wir 2023 unsere Projekte übergeben haben. Während unserer Arbeit vor Ort war die Gefahr durch das Regime immer präsent, auch hier, wo die Kurden eine autonome Verwaltung aufgebaut haben. Heißt der Sturz von Assad, dass sich die Lage in NES nun entspannt?

Unsere Partnerorganisationen vor Ort, der Kurdische Rote Halbmond (KRC) und ŞÎLÊR – Crisis Response (SCR), berichten uns, dass aktuell Freude und Sorge sehr dicht beieinander liegen. Neben der Freude über das Ende Assads dominiert der sorgenvolle Blick auf die Türkei, die seit Jahren versucht, die Kontrolle über Teile von NES zu erlangen und dort immer wieder Angriffe verübt. Mal durch Beschuss mit Drohnen, mal mit Hilfe von syrischen Milizen. Und letztere haben nicht gezögert, in der veränderten Lage erneut zuzuschlagen.


Die KRC-Klinik in Manbij wurde im Nachgang der Angriffe durch die SNA durch Plünderungen zerstört. Foto: KRC

So hat in Manbij die teils islamistische und von der Türkei tatkräftig unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) am 7. Dezember die kurdisch geführten Demokratischen Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces, SDF) angegriffen, die sich daraufhin aus der Stadt zurückziehen mussten. Anschließend fanden weitgreifende Plünderungen statt, von denen auch mehrere medizinische Einrichtungen betroffenen waren. Aus dem Krankenhaus von Manbij wurden vier Ambulanzen gestohlen.

Am 12. Dezember gab es einen Drohnenangriff auf einen Krankentransport von KRC auf dem Weg nach Kobani. Der Fahrer wurde getötet, Patient und begleitende Sanitäter schwer verletzt.

Wachsende Bedrohung durch Türkei und IS

Die aktuellen Kampfhandlungen in NES haben die Flucht von hunderttausend Menschen zur Folge, zum Teil bereits mehrfach Vertriebene. Inmitten des bitterkalten syrischen Winters droht eine weitere humanitäre Krise. Gleichzeitig wächst täglich die Angst vor einer weitflächigen Übernahme durch extremistische Kräfte, bis hin zum Verlust der säkular und pluralistisch ausgerichteten autonomen Verwaltung.


Menschen fliehen vor den Kämpfen um Manbij in Richtung Rakka, das mittlerweile ebenfalls akut von Angriffen bedroht ist. Foto: KRC

Die NES-Koordinatorin von KRC warnt, dass auch Kobani und Rakka akut von Angriffen durch die von der Türkei unterstützten Milizen bedroht sind. Das sind genau die Orte, an die die Menschen aus der Region des umkämpften Manbij gerade geflohen sind. Die Koordinatorin ist besorgt:

„Es stellt sich irgendwann die Frage, wohin mit den ganzen Leuten. Vor allem Kurd*innen, denn die sind gerade extrem gefährdet. Aber auch andere Minderheiten: Christ*innen, Jesid*innen, Allevit*innen… alle Minderheiten, und Frauen im besonderen, sind derzeit massiv gefährdet. Viele von ihnen sind in den kurdischen Gebieten, also in Nordost-Syrien, weil sie hier sicher sind. Aber wenn es so weiter geht, dann gibt es für sie keinen geschützten Ort mehr. Auch, weil der HTS noch nicht vertraut wird. Das braucht Zeit, sie müssen erst beweisen, dass religiöse, kulturelle und ethische Minderheiten, sowie Frauen, nicht gefährdet sind.“


Durch die Angriffe auf kurdisches Gebiet entstehen weitere Camps von Vertriebenen, die Internally Displaced People (IDPs). Foto: KRC

Adrian Knöpfel von SCR, die Organisation, die von CADUS den Betrieb des Feldkrankenhauses im Camp Al Hol übernommen hat, berichtet uns über die Situation vor Ort:

„Die aktuelle Lage in Nord- und Ostsyrien bleibt nach dem Fall von Assad äußerst prekär. Die Region sieht sich einem dramatischen Anstieg von Binnenflüchtlingen gegenüber, für die es noch immer nur unzureichende Versorgung gibt. Zusätzlich verschärfen die fortwährenden Angriffe durch von der Türkei unterstützte Milizen die humanitäre Krise erheblich. Inmitten dieser Herausforderungen setzten wir unsere Arbeit im Al-Hol-Camp fort. Hier ist die Angst vor Angriffen durch den IS, für den das Camp ein erklärtes Hauptziel darstellt, allgegenwärtig. Wir sind entschlossen, unsere Unterstützung fortzusetzen, um die dringendsten Bedürfnisse der Bevölkerung zu adressieren.“

Al-Hol stellt für den sogenannten Islamischen Staat (IS) eines der Hauptziele dar, da es nicht nur eine der größten Flüchtlings- und Vertriebenensiedlungen in der Region ist, sondern auch eine Vielzahl von Personen beherbergt, die potenziell anfällig für Radikalisierung sind oder bereits Verbindungen zum IS hatten. Die überfüllten und oft unzureichend gesicherten Bedingungen im Camp bieten dem IS eine Gelegenheit, seine Ideologie zu verbreiten und Anhänger zu rekrutieren. Zusätzlich betrachtet der IS Angriffe auf Al-Hol als symbolische Aktionen, um seine fortdauernde Präsenz und Einfluss in der Region zu demonstrieren, selbst nach territorialen Verlusten. Dies macht Al-Hol zu einem besonders gefährdeten und strategisch wichtigen Ziel für den IS.

Internationale politische Verantwortung ist gefordert

Das NES NGO Forum, ein Zusammenschluss der in Nordost-Syrien tätigen humanitären Organisationen, drängt zur Einhaltung der Internationalen Menschenrechte (IHRL) und des Völkerrechts (IHL), das den Schutz von Zivilist*innen und humanitären Helfer*innen vorschreibt. Dem Forum zufolge behindern die aktuellen Angriffe massiv sowohl Hilfeleistungen als auch den regulären Betrieb von ziviler Infrastruktur.


Freiwillige des Kurdischen Roten Halbmondes errichten Notunterkünfte und Versorgungszelte für IDPs. Foto: KRC

Eine klare Forderung kommt auch von KRC: Auf internationaler Ebene muss nun dringend interveniert werden. Den auch von der Türkei zu verantwortenden Angriffen muss sofort Einhalt geboten werden, damit es nicht zu einer weiteren humanitären Katastrophe und Verletzungen der Menschenrechte in Syrien kommt.

Humanitäre Nothilfe muss geschützt und gleichzeitig der politische Druck auf die Gegner von Freiheit und Demokratie entschieden verstärkt werden. Über die Freude des Sturzes von Assad darf die Situation in Nordost-Syrien nicht aus dem Blick geraten, starke internationale Solidarität ist gefragt. Trotz der schwierigen Lage hoffen wir mit und für die Menschen in Syrien auf Frieden, Gerechtigkeit, und den sicheren Zugang zu allem Lebensnotwendigen.

by Jonas Gruenwald

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