Gaza – Der Traum ist aus
Die humanitäre Katastrophe in Gaza verschärft sich zunehmend. Der Süden ist ein einziges großes Flüchtlingscamp, der Norden komplett verwüstet und von einer großen Hungersnot bedroht. Die Kämpfe dauern an. Immer wieder erleiden Menschen Explosionsverletzungen oder werden unter Trümmern begraben. Doch Rettung gibt es kaum: es ist zu gefährlich für zivile Helfer:innen. Dieser Einsatz ist einer der schwierigsten in der zehnjährigen Geschichte von CADUS.
Der Trauma Stabilization Point
Früh morgens brechen wir auf zu unserem Arbeitsort. Wir fahren die Coastal Road entlang. Endloser Strand, Palmen, an einem jetzt geschlossenen Fischrestaurant werden Lebensmittel ausgegeben. An einzelnen Häusern wehen die Fahnen internationaler Hilfsorganisationen. Dazwischen soweit das Auge reicht Zelte und Planen. Viele Kinder, manche lassen Drachen steigen. Wir fragen nach: wie war Gaza eigentlich vor dem Krieg? Es scheint, als muss es sehr schön gewesen sein hier. Antwort: Gaza? Das war das Paradies. Aber das ist vorbei, das kommt nie wieder, Gaza gibt es nicht mehr.
CADUS betreibt zusammen mit dem Palästinensischen Roten Halbmond (Palestinian Red Crescent Society, PRCS) einen Trauma-Stabilisierungspunkt (Trauma Stabilization Point, TSP). Das Zelt in dem CADUS arbeitet ist für die komplizierten Fälle reserviert: Schusswunde, Schrapnelle im ganzen Körper, ein Kind das nicht mehr reagiert, Verkehrsunfall, schwere Schwangerschaftskomplikation. Verbandswechsel bei dem Mädchen, dessen Bein von einem abgeworfenen Hilfspaket gebrochen. In dem Zelt das PRCS managed werden unter anderem kleinere Platzwunden genäht. Die beiden Teams unterstützen sich gegenseitig, die Zusammenarbeit ist für alle gleichermaßen wichtig.
Hilfe in Gefahr
Gefährlich wird es, wenn Patient:innen mit einem Rettungsfahrzeug ins Krankenhaus transportiert werden müssen. Jede Fahrt birgt ein großes Risiko. Die gut sichtbar mit dem Roten Halbmond-Symbol gekennzeichneten PRCS-Ambulanzen sind regelmäßig Angriffen ausgesetzt. Das widerspricht eindeutig Internationalem Völkerrecht (International Humanitarian Law, IHL). Doch unsere Kolleg:innen vor Ort gehen das Risiko immer wieder ein, um die Patient:innen weiterführender medizinischer Versorgung zu übergeben. Im Süden Gazas sind einige lokale Krankenhäuser teilweise noch funktionstüchtig, unterstütz von Feldkrankenhäusern internationaler Hilfsorganisationen.
Vom TSP aus hören wir immer wieder Panzerschüsse, Einschläge und Explosionen, sehen Rauch aufsteigen. Doch meist warten wir vergeblich darauf, dass die Verletzten durch einen Rettungsdienst in unsere Einrichtung gebracht werden. Wenn Menschen kommen, dann werden sie meist von ihrer Familie im PKW oder auf einem Eselswagen angeliefert. Und manchmal sind die Verletzten diejenigen, die ihre Verwandten aus den Trümmern retten wollten und dann selbst von Schüssen getroffen wurden. An manchen Tagen übersteigt die Zahl der Leichen die zum TSP gebracht werden die Zahl der Patient:innen, die es zu uns schaffen.
Krieg zu führen ist nicht grundsätzlich verboten. Es gibt aber strenge Regeln für den Schutz der Zivilbevölkerung. Unter anderem müssen die Konfliktparteien dafür sorgen, dass sogenannte Nicht-Kombattanten geschont werden und die benötigte Hilfe und Versorgung erhalten. Alle Menschen, die nicht aktiv am Kampf teilnehmen, haben ein Recht auf Hilfe. Können die Konfliktpartien dies nicht selbst leisten, so muss unparteiischen humanitären Hilfsorganisationen der Zugang zu Verletzten gewährt werden. Die Organisationen selbst stehen unter besonderem Schutz und dürfen nicht angegriffen werden.*
Evakuierungen dringend notwendig
In Gaza erleben wir immer wieder, dass dieser Schutz für die palästinensische Zivilbevölkerung und ihren Rettungsdienst nicht gilt. Wohl aber für internationale Organisationen wie CADUS: Bisher ist der „Deconfliction“-Mechanismus, bei dem die Positionsdaten der Helfer:innen beiden Kriegsparteien offengelegt werden, funktional und wirksam. Deshalb ist es jetzt an uns, einen Teil der gefährlichen Fahrten durchzuführen.
Schon bald beginnen wir damit, Patient:innen aus den wiederholt unter Angriff stehenden, teilweise zerstörten Krankenhäusern im Norden zu evakuieren. Laut Plan bringen wir die Menschen erst in den Süden Gazas, von wo aus sie, soweit möglich, in international aufnahmebereite Krankenhäuser evakuiert werden. Koordiniert wird das Ganze durch die EMT-Struktur der WHO. Als „Specialized Care Team for Pre-Hospital Care“ sind wir momentan die einzige internationale Organisation vor Ort, die so einen Einsatz leisten kann. In den letzten Wochen haben wir mit Hochdruck an den Vorbereitungen für die MEDEVACs gearbeitet, inklusive intensiven Fundraisings zusammen mit Organisationen, die uns bei diesem Vorhaben unterstützen. Der Zeitdruck ist enorm, mit den Evakuierungen zu beginnen. Es gibt Listen von Menschen, die dafür vorgesehen sind. Doch jeden Tag werden Namen von diesen Listen gestrichen: für sie kommt Hilfe zu spät.
Wohin wir evakuieren können, wenn Israel eine Offensive auf Rafah im Süden Gazas beginnt, ist eine noch zu lösende Frage. Und genauso die Frage, wohin die ganzen Menschen gehen sollen, die bereits in den Süden geflohen sind, alles verloren haben und nun in Zelten leben. Angst, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit sind allgegenwärtig. Und doch erleben wir immer wieder, wie die Menschen nicht aufgeben, sich gegenseitig unterstützen und einen Ausweg suchen. Für viele ist jedoch klar: eine Lösung können sie nur jenseits der Grenze finden, in Gaza haben sie keine Zukunft mehr. Dieser Traum ist endgültig aus.
* MSF: The Practical Guide to Humanitarian Law (Online-Ausgabe, Seite „Protected Persons”)
* ICRC: International Humanitarian Law Databases (Sammlung der IHL-relevanten Abkommen)
by Corinna Schaefer
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